Katechesen über die Feiertage und Feste im Jahreskreis

Das Geheimnis des Karfreitags - Durch Christi Leiden und Sterben am Kreuz ist die Liebe Gottes zu uns hinabgestiegen bis in das Reich des Todes

 

Die Karwoche wird in der orthodoxen liturgischen Sprache „Heilige und Große Woche“ oder „Leidenswoche“ genannt. Ihr Höhepunkt bildet der „Große und Heilige Freitag“, der bei den abendländischen Christen „Karfreitag“ genannt wird. An diesem Tag gedenken wir des Leidens unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus mit dem Morgengottesdienst (Utrenija), in dem wir die Lesung der zwölf Leidensevangelien hören, und dem Abendgottesdienst (Vecernija), in dem liturgisch die Grablegung Christi für uns vergegenwärtigt wird. Heutzutage wird der Morgengottesdienst des Karfreitags bereits am Abend des „Großen und Heiligen Donnerstag“ (Gründonnerstag) gefeiert. Für uns orthodoxe Christen bildet der Karfreitag nicht einfach einen „Feiertag der Erinnerung“ an das Leiden und die Kreuzigung des Herrn. Es ist vielmehr ein Tag, an dem wir der Sünde und dem Bösen im Hören der Leidensevangelien begegnen.

 

 

Unser Herr und Erlöser Jesus Christus hat in Seinem Kreuzesleiden und Tod alles Leid, das Böse und den Tod auf sich genommen. Er, Der Einzig Sündlose, hat die Sünde und das Leid der ganzen Welt an sich gezogen; auf sich genommen durch Sein Kreuzesleiden und dann durch Seine glorreiche Auferstehung überwunden.

 

Die göttliche Liebe begegnet uns leibhaft in der Person Jesu Christi. Nicht der Böse und der Tod haben das letzte Wort, sondern der uns liebende und barmherzige Gott! Wir begegnen dieser göttlichen Liebe und dem Rettungswillen Gottes, die unsere gesamte Vorstellungskraft bei weitem übersteigen, wenn wir den Herrn in der Lesung der zwölf Leidensevangelien in Seinem bitteren Kreuzesleiden und Seiner Todesstunde begleiten. Wir sind dabei, wenn der menschgewordene Sohn Gottes ins Grab gelegt wird und wir hören die Beweinung durch die Allheilige Gottesgebärerin, die in poetischen Fersen nach der Grablegung des Menschensohnes vorgetragen wird.

 

 

Der Tod, den der Herr Jesus Christi auf sich genommen hat, ist der abschließende Beweis der Liebe Gottes zu uns Menschen. Es ist zugleich der Beweis der vollkommen vergöttlichten menschlichen Natur Jesu Christi des Menschensohnes im vollkommenen Gehorsam des Göttlichen Sohnes gegenüber dem Himmlischen Vater. Und hierin liegt das Geheimnis des Kreuzes begründet: Das Zeichen der Schande und des Todes wird durch den vollkommenen Gehorsam des Sohnes gegenüber dem Vater zum Zeichen des Sieges über den Tod und das Böse. Die vollkommene Demut des Sohns ist bereits der Grundstein, der Anfang Seines Sieges über Hölle und Tod.

 

 

Der Tod Christi ist der Beginn Seines „Abstieg in den Hades“. Der Hades bedeutet das Reich des Todes, das Gott in Seiner Güte nicht erschaffen hat und das Er in Seiner Menschenliebe nicht wollte. Dort ist der Böse, der Gewaltherrscher dieser Welt, mächtig. Alles Böse, jede Sünde und der Tod sind die drei Dimensionen des Hades, seine Ausdrucksformen, denn durch Sünde herrscht das Böse und der Tod ist das Ergebnis der Sünde. Der hl. Apostel Paulus schreibt der Gemeinde in Rom: „Die Sünde kam in die Welt und durch die Sünde der Tod“ (Römer 5: 12). Der Tod ist der letzte Feind des Menschen (vgl.: 1. Kor. 15: 26) und seine Überwindung ist das endgültige Ziel der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Deshalb ist diese Begegnung mit dem Tod die „Stunde“ Christi, von der Er gesagt hat: „Deshalb bin ich in diese Stunde gekommen“ (Joh. 12: 27). Nun ist die Stunde gekommen und der Menschensohn geht am Kreuz in den Tod. Aber Er ist zugleich der Sohn Gottes und Er wird im Tod am Kreuz des Todes Macht überwinden.

 

 

Im Prolog des Johannesevangeliums lesen wir: „In Ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen“ (Joh. 1: 4). Der Mensch Jesus stirbt, aber dieser Menschensohn ist zugleich der Sohn Gottes, der Eingeborene vom Vater, wahrer Gott vom wahren Gott und eines Wesens mit dem Vater. Als Mensch kann Jesus wirklich sterben, aber in Ihm betritt Gott Selbst, Christus, das Reich des Todes. Hierin liegt das Mysterium, das verborgene Geheimnis des Todes Jesu Christi am Kreuz, durch den die Macht des Bösen und seiner Todesmacht gebrochen wurde. Denn der Teufel sah nur den Menschen, aber nicht den Gottmenschen Jesus Christus. Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch, unvermischt, ungeteilt und ungetrennt. So nimmt der Hades den toten Menschen und trifft auf Gott. In Christus erleidet der Mensch Jesus den Tod, aber in Christus, Gott, wird der Tod – und durch Christus Gott jeder Tod – in der Personeneinheit von Gott und Mensch angenommen, überwunden und von Grund auf zerstört. Im Ostertroparion singen wir deshalb: „…durch den Tod den Tod zertreten…“.  Dies ist der einzigartige, unvergleichliche Sinn des Kreuzes Christi.

 

 

Das Kreuzzeichen begleitet uns als orthodoxe Christen in unserem ganzen Alltagsleben: vor dem Essen, dem Schlafengehen, bevor wir die hl. Ikonen verehren, zu Beginn und bei Ende einer Reise gehen und zum Schutz vor Bösem, immer ist das Kreuzzeichen dabei. Das Kreuz hat in der orthodoxen Kirche und im Leben der Gläubigen seinen festen Platz.

 

 

Für orthodoxe Christen ist das hl. Kreuz ist nicht das Zeichen des Todes, sondern vielmehr eines des Lebens. Es leuchtet durch das Licht, das durch die Auferstehung vom Grabe Christi ausgeht. Deshalb ist das hl. Kreuz kein Symbol der Trauer, des Schmerzes, des Todes oder des Verlustes, wie uns die zahlreichen Kreuze auf unseren Friedhöfen als vordergründigen Eindruck zu vermitteln scheinen, sondern es steht für uns in jenem Lichte, welches von der Auferstehung des Herrn herrührt, die jede Trauer, jeden Schmerz und jeden Kummer vertreibt.

 

 

Deshalb ist das Kreuz in der orthodoxen Kirche das Hoffnungszeichen der in Sünden und Schuld, in Krankheit und Leiden verstrickten Menschen auf die unendliche Liebe und Barmherzigkeit Gottes. Gott ist in all unserem Leid und in all unserer Gebrochenheit nicht fern! Gott Selbst erleidet in Seinem menschgewordenen Sohn das, was Menschen ihren Mitmenschen anzutun vermögen und worunter Menschen in ihrer Gebrochenheit und Sterblichkeit leiden.

 

 

Der hl. Apostel Paulus sagt, dass Christus die Menschen durch das Kreuz mit Gott versöhnte (vgl.: Eph. 2: 16). In seinem Brief an die Kolosser schreibt er, dass Christus den Schuldbrief der Sünden weggetan und ans Kreuz geheftet hat (vgl.: Kol. 2: 14). Im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt er, dass das „Wort vom Kreuz eine Torheit für diejenigen ist, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es eine Gotteskraft” (1. Kor. 1: 18).

 

 

Das Kreuz Christi ist für uns orthodoxe Christen in erster Linie ein Ort der Begegnung mit der unendlichen Liebe Gottes. Am Anfang des Johannes-Evangelium lesen wir: „… denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass Er Seinen Eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an Ihn glaube, nicht verloren gehe, sondern das ewige Leben hat” (Joh. 3: 16).

 

 

Das Kreuz ist der Höhepunkt der Selbsterniedrigung (Kenosis) Gottes im Kommen des Sohnes Gottes in diese Welt, um uns zu erretten. So ist das Kreuz untrennbar mit dem Heilsplan Gottes verbunden. Wir dürfen die einzelnen Etappen dieses Heilsplans, der sich im Leben Jesu Christi offenbart, aber nicht verabsolutieren oder gar voneinander trennen. Alle Etappen der Heilsökonomie Gottes bedingen einander und bilden zusammen das Heilshandeln Christi zu unserer Errettung.

 

 

In der Menschwerdung unseres Herrn und Erlöser und Gottes Jesus Christus nahm der Eingeborene Sohn, Gott Selbst, die ganze menschliche Natur an, erneuerte sie, heiligte und vergöttlichte sie. Der hl. Nikolaos Kabasilas, schrieb, dass Christus die Mauer der Trennung zwischen Gott und dem Menschen niederrissen, damit die Menschen Gott Selbst unbehindert und unmittelbar begegnen können. So nimmt der Sohn Gottes Christus durch Seine Menschwerdung die gesamte Menschheit in sich auf und verwandelt sie durch Seine, mit der göttlichen Natur verbundene, menschlichen Natur. Aber der Menschensohn steigt noch weiter von der Höhe des Himmels zu uns herab: Er befreit er die Menschheit durch Seinen Tod am Kreuz von der Herrschaft der Sünde und des Todes, weil Er die Sünden der ganzen Welt auf sich nahm (vgl.: 1.Petr. 2: 24).

 

 

Der hl. Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth: „… denn da ja durch einen Menschen der Tod kam, so kam auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten“ (1. Kor. 15:  21). Der hl. Apostel Paulus stellt an mehreren Stellen den alten Adam und den neuen Adam (Christus) gegenüber (vgl. Röm 5: 12-21). Dieser Typos (Bild) wurde von den hl. Vätern immer wieder aufgegriffen und weiter ausgelegt. Bereits beim hl. Apostel Paulus steht (Röm 5: 19) der Ungehorsam Adams, der das ganze Menschengeschlecht dem Tod auslieferte, dem Gehorsam Christi gegenüber, der die Menschheit durch den Tod am Kreuz wieder mit Gott versöhnte, da Er nicht für Seine Sünden, sondern für uns Sünder starb (vgl.: Röm. 5: 19).

 

 

Dass der Sohn Gottes uns Menschen so sehr nahegekommen ist, dass ein „Sein Leben gab als Lösegeld für viele“ (Mk. 10: 45) ist für die meisten heutigen Menschen, die außerhalb des Glaubens stehen, ein Paradoxon, wenn nicht gar ein Skandalon. Deshalb sagt der hl. Apostel Christi über das Kreuz Christi: „ein Ärgernis für die Juden und den Griechen eine Torheit” (1. Kor 1: 22-23).

 

 

Der Weg Christi zum Kreuz ist der höchste Akt der göttlichen Liebe, Güte und Gnade. Durch das Heilshandeln Gottes, das in der Inkarnation beginnt und in der Auferstehung gipfelt, werden dem Menschen die Unsterblichkeit und das ewige Leben erneut geschenkt. Deshalb ist das hl. Kreuz nicht einfach nur ein Zeichen der Erinnerung. Auch die Lesung der 12 Leidensevangelien sind nicht einfach nur eine Erinnerung an Heilsereignisse in der Vergangenheit. Vielmehr werden wir im Morgengottesdienst des Karfreitag liturgisch in den Palast des Hohepriesters und in das Verhör durch den Sanhedrin mit Christus hineingeführt. Wir stehen dann mit Christus vor Pontius Pilatus. Wir sind später auch zugegen bei Seiner Geißelung. Wir hören mit unseren Ohren die Worte des Todesurteils über den Herrn. Wir schreiten mit Ihm hinauf nach Golgotha und stehen mit der allheiligen Gottesgebärerin zu Füßen des Kreuzes. All dieses ist nicht bloß Erinnerung (Anamnese), sondern wir nehmen im Verlauf der Gottesdienste teil an der Gegenwart des in den hl. zwölf Evangelien verkündeten Erlösungsgeschehens.

 

Im Kreuz des Altars, dass in unsere Mitte getragen wird und im Grabtuch Christi (Plaschzentiza = Tuch der Tränen) begegnen wir deshalb geheimnisvoll der uns rettenden Kraft des Urbildes. Wenn wir dem hl. Kreuz begegnen, wenn wir die Worte der Evangeliumslesungen hören, wenn wir den ergreifenden Gesängen zuhören, wenn wir die Paschenitza (Grabtuch Christi) verehren, sind wir hineingenommen in jene Ereignisse in Jerusalem und begegnen dem Leiden Jesu.

 

 

Wenn wir auf das hl. Kreuz blicken, das in die Mitte der versammelten Gemeinde getragen wird, dann werden auch wir vom Biss der Schlange, - das ist das Gift unserer Sündenverhaftung und Leidenschaften - geheilt wie es einst am alttestamentlichen Gottesvolk geschah zu der Zeit als der hl. Prophet Mose eine eherne Schlange zur Heilung der Menschen aufstellte (vgl.: Num. 21: 4-9).

 

Wenn wir die Leidensgeschichte anhand der zwölf Evangeliumslesungen mitvollziehen, so mahnt uns das Leiden und der Kreuzestod des Einzig Sündelosen ein letztes Mal vor Ostern zur Umkehr, also zu jener wahren Liebe und Opferbereitschaft, die uns der menschgewordene Sohn Gottes vorgelebt hat. Wenn wir die Leiden Christi im Glauben verehren, so erklären wir damit unsere Bereitschaft zur Überwindung unserer sündhaften Natur in einer echten Nachfolge Christi, zu Annahme der neuen Geburt in Christus, die wir in unserer Taufe aus der Auferstehung Christi empfangen haben.

 

 

Deshalb tragen wir während der zwölf Lesungen brennende Kerzen in unseren Händen. Sie symbolisieren an diesem Abend auch unsere Bereitschaft zur Ausrichtung unseres Lebens auf die frohe Botschaft Christi (Sein hl. Evangelium). Die Begegnung mit unserem Erlöser am Kreuz führt uns heraus aus der Sündhaftigkeit dieser Welt. Das hl. Kreuz Christi verwandelt unseren geistlichen Tod der Sünde in das ewige Leben in Christus. Vom Kreuz Christi schreiten wir in diesen heiligen und schreckenerregenden Tagen zur Grablegung und vom versiegelten Grab zur Begegnung mit der leibhaftigen Auferstehung des Herrn.

 

 

Aus diesem Grunde ist für uns orthodoxe Christen der Große und Heilige Freitag (Karfreitag) ein strenger Fastentag, weil wir während dieses Tages in der Gegenwart des Herrn, in der Gegenwart Seiner bitteren Leiden und Seines Todes am der Kreuz und Seiner Grablegung stehen.

 

 

Der Tod ist nach dem Sündenfall zur größten Angst des Menschen geworden. Bis heute dominiert die Furcht vor dem Tod das Denken und Handeln der Menschen. Obwohl wir um seine unausweichliche Gewissheit Bescheid wissen, tun wir alles, um ihn vergessen zu machen; um ihm dann dadurch doch (unvorbereitet) begegnen zu müssen.

 

 

Wenn wir aber an Christus glauben und mit Ihm leben, dann wird auch dem Tod durch den Kreuzestod Christi der verzweifelnde Schrecken genommen. Wir folgen in diesen Tagen Christus und schreiten damit bereits geistlich durch das Tor des Todes in das ewige Leben, das unser eigentliches, unser wahres Leben ist.

 

 

Für uns ist die Verheißung Gottes dann bereits zur erfahrbaren Realität geworden, weil „in Christus alle lebendig gemacht werden“ (1 Kor 15: 22).  Durch den mit dem Kreuz verbundenen Tod hat Er den Tod zertreten und uns das ewige Leben geschenkt. Wenn wir das wirklich glauben, verliert auch unser eigener leiblicher Tod in der Auferstehung Christi seinen Schrecken.

 

 

Das Kreuz ist notwendig für die Auferstehung. Der Herr Jesus Christus hörte weder auf dem Kreuz noch im Grab auch nur einen Augenblick auf, wesensgleich mit Gott, dem Vater, zu sein. Gleichzeitig ist Er aber auch vollkommen Mensch. Indem Er Seinen Willen dem Willen Gottes, des Vaters, unterordnete, nahm Er es aus freiem Willen auf Sich, für uns am Kreuz zu sterben – dort zertrat Er (um unseres Heiles willen) den Tod.

 

 

Für die orthodoxen Christen ist das hl. Kreuz das Ende der vergänglichen Welt, aber auch der Anfang unseres neuen Lebens, das mit der Auferstehung Christi beginnt. Das ist der große Sieg Christi, der den Tod zertrat und den Menschen das ewige Leben schenkte. Wer an die Auferstehung glaubt, kann schon jetzt, im gegenwärtigen und vergänglichen Leben, den Vorgeschmack der Ewigkeit erleben. Das Kreuz Christi ist also kein Kreuz der Klage, sondern vielmehr Zeichen unserer Hoffnung, denn am Holz des Kreuzes wurde die Sünde gekreuzigt, die ganze Welt wurde gereinigt und die Pforten des Himmels wurden für die Menschen erneut geöffnet.

 

 

Der hl. Johannes Chrysostomus sagt darüber: „Das Pas´cha des Herrn ist also nicht ein Pas´cha des Fastens und der Trauer, sondern Unterpfand des Frohmuts und der Freude. Denn das Kreuz hat die Sünde ausgelöscht und wurde zur Sünde der ganzen Welt, Ausgleich für Jahre der Feindschaft, hat es die Pforten des Himmels geöffnet … und hat uns zahllose andere Güter gewährt. Niemand muss also mehr klagen oder sich der Traurigkeit hingeben, sondern jubeln und sich über dies alles freuen“ … „Das Kreuz ist der Aufweis der Liebe Gottes“.

 

 

Der liturgische Ablauf des Morgengottesdienstes am Karfreitag geht auf die alte Jerusalemer Liturgietradition zurück. Hier umfasste das Gedächtnis der Leiden und des Sterbens des Herrn drei Teile:

 

  • Den nächtlichen Prozessionsgottesdienst mit Gesängen, Lesungen und Gebeten. Die Prozession führte von der Ölbergkirche über andere Heiligtümer im Ölberg durch das Kedrontal in die Stadt und endete schließlich in der Kirche in der Golgotha-Kapelle (Martyrion) der Grabeskirche.
  • Die Verehrung der Kreuzreliquie.
  • Der eigentliche Morgengottesdienst mit den 12 Evangeliumslesungen an der Golgotha (Ort der Kreuzigung).

Zwei liturgische Elemente beherrschen diesen Morgengottesdienst des Karfreitags: Erstens die zwölf Evangeliumslesungen und zweitens die Kreuzesprozession.

 

Die Abschnitte der zwölf Leidensevangelien sind folgende:

 

  1. Joh. 13: 31–18,1
  2. Joh. 18: 1-28
  3. Matth. 26:  57-75
  4. Joh. 18: 28–19:16
  5. Matth. 27: 3-32
  6. Мk. 15: 16-32
  7. Matth. 27: 33-54
  8. Lk. 23: 32-49
  9. Joh. 19: 25-37
  10. Мk. 15: 43-47
  11. Joh. 19: 38-42
  12. Мatth. 27: 62-66

 

 

Das ersten Evangelienlesungen tragen uns die Abschiedsreden unseres Herrn vor. Sie berichten uns von der Gefangennahme Jesu Christi, die Verhöre durch den Hohepriester, seine Vorführung vor dem römischen Statthalter Pilatus, Seine Geißelung, Seine Verurteilung zu Tode, die Kreuzigung, Seinen Tod und Sein Begräbnis. Jedes Evangelium wird umrahmt von jeweils eigenen Gesängen, die Antiphonen und Kathismen genannt werden.

 

 

Nach dem fünften Evangelium zieht der Priester mit dem Kreuz Christi auf seinen Schultern tragend unter Begleitung von Kerzenträgern aus dem Altarraum in die Kirche ein und singt: „Heute hängt am Kreuz, der die Erde auf Wassern schweben lässt. Mit einem Kranz aus Dornen wird umwunden der König der Engel. Zum Spott wird mit einem Purpur umhüllt, der dem Himmel umhüllt mit Wolken. Schläge erhält, der im Jordan Adam befreite. Mit Nägeln ward angeheftet der Bräutigam der Kirche. Mit einer Lanze wird durchbohrt der Sohn der Jungfrau. Wir verehren, Christus, deine Leiden. Wir verehren, Christus, deine Leiden. Wir verehren, Christus, deine Leiden. Zeige uns deine glorreiche Auferstehung.“

 

 

Währenddessen trägt er das hl. Kreuz vom Altar in die Mitte des Kirchenschiffs. Der Priester stellt das Kreuz dann vor die kaiserliche Tür der Ikonostase und die Gläubigen kommen und verehren es.

 

 

 Nach dem sechsten Evangelium von der Kreuzigung singt der Chor acht der zwölf Seligpreisungen und fügt jeweils an den Vers Hymnenstrophen an, die den Gläubigen die Bedeutung des Sterbens Jesu aufzeigen: Der Paradiesbaum, durch den Adam starb, findet sein Gegenstück im Kreuzesbaum, durch den der Schächer ins Paradies einziehen durfte. Die durchbohrte Seite wird zum Lebensborn für alle Völker, die an den Herrn Jesus Christus glauben. Unsere Schuldschrift wird zerrissen und der für tot Gehaltene hat den Hades gefesselt. Die Gläubigen hören in diesen Gesängen, dass der Herr und Erlöser Jesus Christus für sie gelitten hat, um allen das Heil zu schenken. Nicht das Leiden an sich, sondern das freiwillige Leiden des Herrn Jesus Christus, Der unsere menschliche Natur mit allem außer der Sünde angenommen hat; Der deshalb dem Leiden nicht unterworfen war, ist die Ursache unseres Heils.

 

 

Nach dem siebten Evangelium wird der Psalm 50 gelesen, der heute zu einem besonderen Bekenntnis für jeden Christgläubigen wird.

 

 

Die Stichiren nach den weiteren Evangelien stellen nochmals das Geschehene, die Einzelheiten der Leiden Christi, eindringlich dar.

 

 

Nach dem achten Evangelium und Gesängen des Chores beweihräuchert der Priester nach seinem Ruf: „Die Gottesgebärerin und der Mutter des Lichtes besingen und erheben wir in Hymnen“ die hl. Ikonen, den Altar, die gesamte Kirche und auch die Gläubigen. Der Chor singt das Magnificat, das mehrmals durch den Irmengesang des „Die Du geehrter bist als die Cherubim...“ untergliedert ist

 

Nach den Stichiren zum zehnten Evangelium wird die Große Doxologie gesungen. Die letzten zwei Evangelien berichten dann von der Kreuzabnahme und der Grablegung unseres Herrn.

 

 

Das letzte Tropar lässt alles in den Evangelienlesungen Gehörte noch einmal zusammenklingen: „Du hast uns losgekauft vom Fluch des Gesetzes durch dein kostbares Blut. Am Kreuz genagelt, von der Lanze durchbohrt, ließest Du den Menschen die Unsterblichkeit quellen. Unser Erlöser, Ehre sei Dir“ und während der Feier der Osternacht singen wir im Exaposteilarion. „Im Fleische entschliefst Du als Sterblicher, König und Herr. Doch am dritten Tage erstandest Du wieder, hast Adam von Verwesung erweckt und vernichtet den Tod, Du, der Unverweslichkeit Pas´cha, Retter der Welt.“

 

 

Christus hat Adam vom Tode erweckt und vernichtet den Tod durch Seinen Tod. Der Tod Jesu Christi ist der endgültige Beweis der Liebe Gottes: Um uns zu erretten, ist ER uns mit Seiner göttlichen liebe bis in das Reich des Todes nachgegangen. Nach dem Sündenfall war die gesamte Welt in die Herrschaft des Todes geraten. Um die Herrschaft des Todes zu überwinden, ist der Sohn Gottes Mensch geworden, hat gelitten, ist gestorben und in den Hades, das Reich des Todes hinabgestiegen. Die Schriften der hl. Väter beschreiben dieses Geschehen als einen wahren Zweikampf zwischen dem Herrn Jesus Christus und dem Satan, dessen eigentliches Sein als absolute Negation des Lebens sich im Tod abbildet. Der Tod sollte nach dem Willen Satans sein alle Bosheit krönender Triumph werden, aber in Wahrheit wurde der Tod des Menschensohns zu seiner alles entscheidenden Niederlage.

 

 

Dieser Zweikampf entwickelt sich über mehrere Etappen: Zuerst scheinen Satan und die Mächte des Bösen zu siegen. Der Gerechte wird, von allen verlassen, gekreuzigt und erleidet einen schändlichen Tod. Jesus Christus stieg mit Seiner menschlichen Seele hinab in den Hades, diesen Ort der Finsternis und der Hoffnungslosigkeit. Der am Kreuzesholz gestorben ist ist der Menschensohn; aber in der Person Jesu Christi sind die menschliche Natur und die Gottheit vereint. Deshalb preist der hl. Johannes Chrysostomus in seiner Osterpredigt diesen Hinabstieg des Herrn in den Hades mit den Worten: „…  Der Hades … ward voll Bitterkeit, als er unten mit Dir (Christus) zusammentraf. Er ward voll Bitterkeit, denn er ward hinweggerafft. Er ward voll Bitterkeit, denn er ward gestürzt. Er ward voll Bitterkeit, denn er ward gefesselt. Er nahm den Leib und traf auf Gott. Er nahm Erde und begegnete dem Himmel. Er nahm, was er sah, und fiel durch das, was er nicht sah …“.

 

 

Durch Seinen Tod hat Christus den Tod und den Teufel besiegt hat, „der die Gewalt über den Tod hat“ (Hebr. 2: 14). Christus stieg hinab in das Reich des Todes, um mit Seiner Gottheit das Reich des Todes und die Hölle, das ist die Herrschaft des Teufels, aufzulösen und um den Entschlafenen im Totenreich das Evangelium der Errettung zu predigen, damit Er alle unter ihnen erlöse, die Seine frohe Botschaft annehmen würden (vgl.: 1. Petr. 3: 19).

 

 

In der sechsten Ode des Osterkanon singen wir: „In der Erde tiefste Tiefen stiegst Du hinab, zermalmtest die ewigen Riegel, der Gefesselten Ketten, o Christus, und am dritten Tage stiegst Du, wie aus dem Hai einst Jonas, hervor aus dem Grab.“ Jesus Christus, wahrer Mensch und wahrer Gott, ist als der Sohn Gottes die Fülle des Lebens Selbst. Er ist das Leben und das Leben ist das Licht der Menschen (vgl.: Joh. 1:4) Er ist das Licht, das nun auch den Hades hell überstrahlt.

 

 

Alles zusammen ist jenes einzige große Geheimnis, das der hl. Johannes Chrysostomus in seiner Osterpredigt preist: „… Niemand fürchte den Tod, denn des Erlösers Tod hat uns befreit. Er hat ihn vernichtet, Der von ihm umfangen war. Er hat gefesselt den Hades, Der zum Hades hinabstieg. Er ließ Bitterkeit erfahren ihn, der gekostet hat von Seinem Fleisch. Dieses vorausschauend rief Jesaja aus: „Der Hades“, spricht er, „ward voll Bitterkeit, als er unten mit Dir zusammentraf.“ Er ward voll Bitterkeit, denn er ward hinweggerafft. Er ward voll Bitterkeit, denn er ward gestürzt. Er ward voll Bitterkeit, denn er ward gefesselt. Er nahm den Leib und traf auf Gott. Er nahm Erde und begegnete dem Himmel. Er nahm, was er sah, und fiel durch das, was er nicht sah. Wo ist, Tod, dein Stachel? Wo ist, Hades, dein Sieg? Auferstanden ist Christus und du bist gestürzt. Auferstanden ist Christus und gefallen sind die Dämonen. Auferstanden ist Christus und die Engel freuen sich. Auferstanden ist Christus und das Leben herrscht. Auferstanden ist Christus und kein Toter im Grab. Denn Christus ist von den Toten auferstanden, der Erstling der Entschlafenen geworden. Ihm sei die Ehre und die Macht in alle Ewigkeit. Amen.“

 

Auf der Osterikone finden wir dies alles dargestellt: Wir sehen Christus, wie Er in den Hades, das Reich des Todes, hinabgestiegen ist. Hier befreit er unsere Stammeltern Adam und Eva und die Gerechten, die vor Christus gelebt haben, aus dem Reich und Schatten des Todes. Meist werden als Repräsentanten des ganzen Menschengeschlechts die Heiligen und Frommen des Alten Bundes wie David und Salomo, aber auch Johannes der Täufer dargestellt.

 

 

Christus steht als Sieger über Hölle und Tod auf den zerbrochenen Türflügeln des Totenreichs, wie es der Psalmsänger vorhergesagt hat: „Öffnet, ihr Herrscher, eure Tore, geht auf, ewige Pforten! Einziehen wird der König der Herrlichkeit” (Ps. 24: 7).

 

Die ehernen Tore der Verlorenheit und Gottesferne sind durch Christus zerschlagen worden und Christus, Gott, bricht als Sieger über den Tod und das Böse strahlend herein in das Dunkel des Totenreiches.

 

 

Auf der Osterikone streckt Christus Seine Hand aus und ergreift den Urvater Adam. Der Herr richtet ihn aus dem Grab auf. Eva steht neben ihm und hält Ihn den Apfel vom Baum der Erkenntnis entgegen.

 

 

Die ganze Gestalt Christi ist umgeben von einer kreisförmigen Aureole, einem Strahlenkranz, der außen hell ist und nach der Mitte zu immer dunkler wird. Ebenso wie das leuchtend weiße Gewand des Herrn, so zeigt uns auch die Aureole, dass beim Abstieg in den Hades die göttliche Majestät Christi nicht verhüllt ist, wie etwa bei der Geburt in der Höhle oder bei der Kreuzigung, sondern offenkundig und alles verwandeln sichtbar wird, wie bei der Verklärung oder der Himmelfahrt. Die Aureole ist ein Zeichen für die Fülle der Gottheit Jesu Christi. Dass sie nach dem Mittelpunkt zu immer dunkler wird, bedeutet, dass das die Lichtherrlichkeit Gottes nun alles überstrahlt und verwandelt; eben auch das Sterben und den Tod.

 

 

Christus zieht nun Adam und Eva heraus aus den Gräbern und führt sie und mit alle, die durch Adams Schuld sterben mussten, aus dem Hades hinaus in das Paradies. Im Abendgottesdienst am Karfreitag singen wir: „Als zum Heil der ganzen Welt niedergelegt wurde in dem leeren Grabe der Erlöser der ganzen Welt, da erschrak der Hades, ganz zum Spott geworden, da er Dich sah; die Riegel zerbrochen, die Türflügel wurden zermalmt; die Gräber öffneten sich, die Toten standen auf. Da rief Adam Dir zu, sich freuend in Dankbarkeit: „Ruhm sei Deinem Herabsteigen, Du Menschenliebender.“

 

 

Christus ist von den Himmeln herabgestiegen um uns in die Himmel emporzuführen. Auf der Osterikone kommen Christus bei Seiner Prozession mit dem aus dem Hades Befreiten auch zwei Greise entgegen. Es sind die hl. Propheten Henoch und Elias, die den Tod nicht gesehen haben und lebendig in das Paradies eingegangen sind. (vgl.: 1. Mose 5,24; 2. Kön. 2,11.) Zu ihnen tritt als weiterer der Erlösten der hl. Dismas hinzu; der gute Schächer, der am Kreuz hängend auf sein Bekenntnis von Christus die Verheißung empfangen hat: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein” (Luk. 23,43).

 

 

Auch sehen wir manchmal auf der Ikone zwei Engel abgebildet: Der eine dieser Engel hält das Kreuz und der andere Engel trägt einen Kelch: Es ist der Kelch des Leidens, den Christus genommen und getrunken hat, und gleichzeitig der Kelch der hl. Eucharistie. Sie bezeichnen des Gottessohnes Opfergang, der mit Seiner Inkarnation begonnen hat und der mit dem Abstieg ins Reich des Todes endet und der in den Gottesdiensten des Hohen und Heiligen Freitag für uns immer von neuem zu lebendiger und lebensspendender Gegenwart wird.

 

Priester Thomas Zmija