Aufsteige mein Gebet - Der orthodoxe Abendgottesdienst

Der Abendgottesdienst- Večernija- Hersperinos- Vesper

 

Die orthodoxe Kirche betet das Stundengebet als Gebet der gesamten Kirche. Also nicht nur Mönche und Nonnen vollziehen das Tagzeitengebet in den Klöstern, sondern auch in den  Kirchengemeinden findet die Vesper (Вечерня / Ἑσπερινός) am Samstagabend als "Auftakt der Gottesdienste am Sonntag" statt.

 

In vielen griechischen Kirchengemeinden ist die Vesper auch das tägliche Abendgebet der Gemeinde. Nach orthodoxer Tradition endet der Tag am Spätnachmittag mit der neunten Stunde. Mit dem Vespergebet beginnt dann der neue liturgische Tag. In der Heiligen Schrift heißt es: "Es wurde Abend und es wurde Morgen - erster Tag" (Genesis 1:5b). Deshalb wird der Vespergottesdienst am Abend, das heißt liturgisch "zum Sonnenuntergang" gefeiert.

 

Die Grundlage des kirchlichen Abendgebetes ist das abendliche Weihrauchopfer im Tempel in Jerusalem. Deshalb ist die Vesper der Gottesdienst in der orthodoxen Kirche, der am stärksten von alttestamentlichen Texten geprägt ist. Er stellt ein Gedächtnis des Heilswirken Gottes im Alten Bund dar, das sich im Kommen Christi vollendet hat.

 

Während des liturgischen Geschehen werden wir Zeuge der Schöpfung, der Vertreibung aus Paradies sowie des Hoffens und Betens der Gerechten Israels. Das theologisch- liturgische Hauptthema des kirchlichen Abendgebetes ist die "Anabasis". Dieses griechische Wort umschreibt den Vorgang der geistlichen Reifung des Menschen, den geistlichen Weg, der unsere Seelen zum Aufstieges zu Gott führt. Deshalb sprechen die Gebete, Psalmen und wechselnden geistlichen Texte und Lieder der Vesper über den Dank für die Schöpfung und das Leben, über die Spannung zwischen der zeitlichen Vergänglichkeit und der Ewigkeit und vom Aufstrahlen des ersehnten Heilandes in Jesus Christus.

 

Ursprünglich gab es zwei Formen der Vesper. Die eine Form wurde an den Kathedralen und in den Gemeinden gefeiert. Sie wurde Kathedralvesper genannt. Ihr besonders feierlicher Charakter strahlt heute noch in der Liturgie der vorgeweihten Gaben auf, die ja eine Große Vesper mit Spendung der heiligen Kommunion ist. In der Kathedralvesper wurden die Gesänge in antiphonale Gesangsweise vorgetragen, das heißt im Wechselgesang zwischen zwei Chören oder als Wechselgesang zwischen dem Chor und der Gemeinde. Die zweite Form der Vesper, die zur Grundlage unseres heutigen kirchlichen Abendgebetes geworden ist, ist die monastische Vesper. Da die Mönche in den Klöstern häufig nur in kleinen Gemeinschaften lebten, wurde die Vesperordnung so abgewandelt, dass neben dem Hymnengesang die einfache Rezitation von Psalmen auf einem Ton (Leserton) einen breiten Raum einnahm. Die heutige Ordnung der Vesper geht auf das Typikon des Mar Sabas Kloster in der judäischen Wüste zurück. Diese monastische Ordnung aus den Heiligen Land wurde später im Studionkloster in Konstantinopel übernommen. Von dort wurde dieses Typikon zur Grundlage des Gottesdienstes in den Klöstern des Heiligen Berges Athos. Im 13. Jahrhundert übernahmen dann auch die Gemeinden diese Ordnung. 

 

Im orthodoxen Abendgottesdienst werden wir liturgisch in die Frühzeit des christlichen Gottesdienstes zurückversetzt. Das Zentrum des gottesdienstlichen Abendgebetes ist der Hymnus "Freundliches Licht". Dieser Gesang reicht bis in das 2. Jahrhundert zurück und wird bereits vom Heiligen Basilius dem Großen als aus der Frühzeit der Kirche stammender abendlicher Lobpreis bezeichnet. Dieser Hymnus zum Sonnenuntergang verweist uns Christen nicht auf das irdische Ende (des Tages), sondern auf den eschatologischen Anfang (in Christus). Schon der heilige Märtyrer Irenäus von Lyon sagt: „Gott wurde zeitlich, damit wir, zeitliche Menschen, ewig werden.“  In der liturgischen Feier und im abendlichen Gebet werden wir zu dem Punkt geführt, an dem sich in der kirchlichen Erfahrung Zeit und Ewigkeit, Erde und Himmel begegnen.

 

Die orthodoxe Vesper besteht in ihrem Aufbau aus zwei Teilen: einem Psalmenteil, der den Lobpreis auf den Schöpfer durch seine Schöpfung beinhaltet, und der abendlichen Feier des Entzünden der Lichter, an dem wir Christus als das Licht des gesamten Kosmos verherrlichen. Dieser zweite Teil hat sein auf Christus verweisendes typologisches Vorabbild im jüdischen Tempelritus des abendlichen Anzündens des siebenarmigen Leuchters im Kirchenschiff des Jerusalemer Heiligtums und dem damit verbundenen abendlichen Vollzug des Weihrauchopfers. Mit dem Untergang der Sonne und vor der hereinbrechenden Nacht werden die abendlichen Lichter entzündet und Christus Gott wird als das nie untergehende Licht besungen. (vgl.: Offenbarung 21:23: "Und die Stadt Gottes (das himmlische Jerusalem) bedarf keiner Sonne noch des Mondes, dass sie scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm (Christus)".  Mit diesem Abend-Hymnus korrespondiert dann auch der zweite Höhepunkt des Abendgebetes, der Lobgesang des Heiligen Simeon. Dem folgt das Unser Vater und die abendliche, darauf dann die inständige Fürbitte (Ektenija), die beide dann den Schlussteil des kirchlichen Abendgebetes mit dem Hauptbeugungsgebet und dem abschließenden Segen einleiten.

 

Priester Thomas Zmija

 

Die Nachtwache - Vcenošnaja Bdenije- Agrypnia

 

Die Nachtwache ist eine gemeinsame Feier des kirchlichen Abendgebetes (Večernija, Hesperinos, Vesper) und des kirchlichen Morgengebetes (Utrenija, Orthros, Matutin). Sie bildet das Kernstück des Stundengebetes an den Sonn- und Feiertagen.

 

Die „Nachtwache“ oder der „gesamtnächtliche Dienst“ erhielt den Namen vom Zeitpunkt ihrer Feier. Im frühen Christentum, aber in einigen orthodoxen Klöstern auch noch heute – dauerte die Nachtwache weit über fünf Stunden, ja manchmal sogar die gesamte Nacht hindurch bis zur Morgendämmerung, wobei beim Aufgehen der Sonne die „Große Doxologie“ gesungen wird (So auf dem Heiligen Berg Athos und im Mar-Sabas-Kloster im Heiligen Land).

 

In der Nachtwache geht das kirchliche Abendgebet (Večernja) direkt in das kirchlichen Morgengebet (Utrenja) über. Der Morgengottesdienst beschließt die vier nächtlichen Stundengebetsgottesdienste, zu denen die Večernija (Abendgebet bei Sonnenuntergang), das Apodipnon (Komplet), das Gebet vor dem Zubettgehen und das Mesonyktikon (Mitternachtsgebet) gehören.

 

Auch in den orthodoxen Pfarrkirchen spielt der liturgische Morgengottesdienst eine große Rolle. In den orthodoxen Gemeinden, die der Tradition der slawischen orthodoxen Kirchen folgen, wird eine, in der Regel gekürzte, Utrenija in Vorbereitung des Sonntags und der großen Feste des Kirchenjahres gefeiert. Bei der Feier der Nachtwache ist sie mit der Večernija zu einem gemeinsamen Gottesdienst (Nachtwache) verbunden.

 

Der Morgengottesdienst führt in seinem liturgischen Verlauf die Gläubigen aus der (geistlichen) Finsternis (symbolisiert durch den nächtlichen Beginn) hin zum hell leuchtenden Licht Christi (symbolisiert durch den Sonnenaufgang).

 

Die Gestaltungsmöglichkeiten und liturgischen Varianten der Utrenija sind im Laufe des Kirchenjahres besonders komplex. Es gibt besondere Varianten für die Vorabende der Sonntage, für die hohen Festtage, für die Werktage, für die Heiligenfeste und während der großen Fastenzeit sowie in der Karwoche. Deshalb stellt die Feier der Utrenija hohe Anforderungen sowohl an die liturgischen Kenntnisse und Fähigkeiten des Klerus, als auch der der Kirchensänger und Leser auf dem Kliros.

 

In den Gemeinden griechischer Tradition findet die Feier des liturgischen Morgengottesdienstes (Orthros) am Sonntagmorgen vor der Göttlichen Liturge statt. In den Gemeinden der russisch-slawischen Tradition wird die Utrenija hingegen meist mit der Večernija zu einer Nachtwache verbunden und am Vorabend (z.B.: Samstagabend) gefeiert.

 

Eine Feier der Nachtwache, die komplett alle Anforderungen der Rubriken des Typikons widerspiegelt, findet selbst in den meisten orthodoxen Klosterkirchen so nicht (mehr) statt. Auch in den Klosterkirchen werden die Psalmen heute meist nur gekürzt gesungen oder gelesen. Eine Nachtwache die komplett alle Einzelbestimmungen des Typikons widerspiegelt, würde mit dem Singen von Psalm 103 in seiner Gesamtheit (mit einem Refrain nach jedem Vers) beginnen. Auf dem Heiligen Berg Athos wird das in den meisten Klöstern dort noch so praktiziert. In diesem Fall dauert allein der Schöpfungspsalm am Beginn der Večernija weit über eine Stunde. Den Psalm 103 würde dann das erste Kathisma („Selig der Mann…“), mit allen acht Psalmen folgen. Desweiteren würden nach dem Abendprokimenon der Vortrag von sieben vorgeschriebenen alttestamentlichen Lesungen folgen. In der Utrenija sind dann vor allem das ausgedehnte Singen der bei den große Psalmen des Polyeleos oder von Psalm 118 zu nennen.

 

Der Psalm 118 ist der längste Psalm des gesamten Psalters. Im Kanon wären dann das Singen aller Irmen und aller Troparia des Kanons (insgesamt 120) zu nennen. Hinzu kämen eine weitere Vielzahl von Stichera, Hymnen und Troparia usw. Nicht nur jede orthodoxe Pfarrgemeinde, sondern auch viele heutige Klostergemeinschaften sind mit einer solchen Masse an Hymnen und Gebeten schier überfordern und am Ende würde sich eine solch umfangreiche Form der Nachtwache sich auch schnell als undurchführbar erweisen.

 

Hier soll nun auch nicht jede mögliche Variante der Nachtwache vorgestellt werden, sondern vielmehr eine Form der Feier, wie sie im Erzbistum der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa in den meisten Pfarrgemeinden üblich ist. Da die Nachtwache ein klösterlich strukturierter Gottesdienst ist, der in seiner vollständigen Gestalt über fünf Stunden dauert, ist es notwendig, die Feier auf das geistliche Fassungsvermögen einer heutigen Pfarrgemeinde anzupassen.

 

Zu rechten Verständnis, was eine liturgisch sinnvolle Praxis darstellen kann, ist es wichtig zu betonen, dass es keine „Kloster-Nachtwache“ und, auf der anderen Seite, eine „Gemeinde-Nachtwache“ gibt. Der jeweils vollzogene Gottesdienst wird sich immer am Gebetsvermögen der versammelten Gläubigen, sowohl im Kloster wie auch in einer Gemeindekirche orientieren. Deshalb gilt es hier immer das gute, das heißt, das rechte und geistlich hilfreiche Maß zu finden. Es ist deshalb sowohl ein „Zuviel“, als auch ein „Zuwenig“ zu vermeiden. Und bei der konkreten Gestaltung einer Nachtwache gilt die Regel, dass die liturgische Struktur der einzelnen Teile der Večernija und der Utrenja auch bei möglichen Kürzungen immer beachtet werden soll. Denn in der Kirche soll alles nach der guten, überlieferten Ordnung und eben gerade nicht nach (subjektiver) Willkür erfolgen.

 

Am Beginn der Nachtwache steht zunächst die Große Večernija. Sie beginnt mit einer vollständigen Beweihräucherung der ganzen Kirche. Die Königlichen Türen werden geöffnet. Der Priester und der Diakon verneigen sich vor dem Altartisch und der Priester beweihräuchert dann zunächst den Altarraum. Der Diakon tritt dann aus der Königstür und ruft: „Stehet auf!“ Dies ist ein Aufruf an alle. Alle Gespräche, Bewegungen und andere Tätigkeiten sollen jetzt beendet werden. In der Kirche kehrt Stille ein und das Gebet beginnt.

 

Wie jeder Gottesdienst beginnt auch die Große Večernija mit dem priesterlichen Eingangssegen. Der Priester beginnt mit dem Ausruf: „Ehre sei der heiligen, wesenseinen, lebenspendenden und unteilbaren Dreieinheit allezeit, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ Der Chor singt „Amen“. Alle Geistlichen singen im Altar: „Kommt, lasst uns anbeten Gott, unseren König …“.

 

Der erste Teil der Večernija ist dem Lobpreis Gottes als dem Schöpfer der Welt gewidmet. Deshalb singt der Chor jetzt Verse den Psalm 103 (Schöpfungspsalm): „Lobe den Herrn meine Seele...“. Der Diakon geht während dieses Gesangs mit einer Vortragekerze dem Priester durch die ganze Kirche voraus. Dabei beweihräuchert der Priester die hl. Ikonen und alle anwesenden Gläubigen in der Kirche. Alle Anwesenden verneigen sich beim Nahen des Priesters. Nachdem sie so mit dem Weihrauch durch die Kirche gegangen sind, treten Diakon und Priester durch die königlichen Türen wieder in den Altarraum ein.

 

Die Ikonostase verbindet mit ihren hl. Ikonen das Kirchenschiff (Naos = Heiligtum = Ort der versammelten Gemeinde) mit dem Altarraum (das Allerheiligste ist der Ort des sakramentalen, eucharistischen Opfers. Der Altar symbolisiert ebenfalls den himmlischen  Thron Christi. Deshalb befindet sich oft in der Apsis einer mit Fresken ausgemalten Kirche auch eine Ikone des Christus Pantokrators).

 

Die Ikonostase besitzt drei Türen. In der Mitte befindet sich die Schöne Pforte oder die Königlichen Türen mit zwei Türflügeln. Auf den beiden Türflügeln befinden bestimmte Ikonen. Oben ist meist eine Darstellung der Verkündigung durch den hl. Erzengel Gabriel an die allheilige Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria abgebildet. Darunter entweder Ikonen der vier heiligen Apostel und Evangelisten oder aber der großen Hierarchen und Lehrer der Kirche Johannes Chrysostomus und Basilius der Große. Die königlichen Türen symbolisieren mit der Darstellung der Verkündigung die Göttliche Heilsökonomie, die zu den Menschen kam durch die Menschwerdung des Gottessohnes aus der Allheiligen Immerjungfrau Maria. Die Abbildung der vier Evangelisten stehen für die Heilstaten und die Gottesworte Christi, die für uns sichtbar und erfahrbar werden durch die Worte des hl. Evangeliums, der einen Frohen Botschaft im Munde der vier heiligen Evangelisten. Die Seitentüren heißen Diakonstüren (die „Nördliche Tür“ links und die „Südliche Tür“ rechts). Diese Türen sind mit Ikonen der hll. Engel oder der hll. Diakone geschmückt. In den Altar gehen Altardiener, Diakone und Priester durch die Nördliche Tür (die Diakone und Priester zu bestimmten Teilen des Gottesdienstes aber auch durch die Königlichen Türen). Die Solea ( eine Plattform vor der Ikonostase) betreten sie dann wieder durch die Südliche Tür. Nur der Bischof betriff und verlässt den Altar immer durch die Königlichen Türen.

 

Noch während der Chor die Verse aus Psalm 103 vollendet, tritt der zelebrierende Priester auf die Solea vor die Königlichen Türen und vollendet dort die für die Feier der Večernja vorgeschriebenen Abendgebete.

 

Nach dem Gesang des Psalm 103 kommt der Diakon aus dem Altarraum und singt dann im Wechsel mit dem Chor die Friedens-Fürbitte (Friedens-Ektenija). Danach singt der Chor Verse aus dem ersten Psalmenkatisma: „Selig der Mann, der nicht dem Rat der Gottlosen folgt...“. Das Buch der Psalmen enthält insgesamt 150 Psalmen, die wiederum in Gruppen von insgesamt 20 Abschnitten (Kathismen) unterteilt sind. Die Psalmen sind Bitt-, Dank und Lobgesänge aus der Liturgie des Jerusalemer Tempels. 73 Psalmen wurden vom hl. Propheten und König David, verfasst, andere bereits vom hl. Propheten Mose, wieder andere vom König Salomo und wiederum weitere von den bestimmten Priestern und Leviten am Jerusalemer Tempel. 40 Psalmen nennen überhaupt keinen Verfasser. Das Psalmengebet prägte bereits beim alttestamentlichen Gottesvolk sowohl den Gottesdienst im Jerusalemer Tempel und der Synagoge, als auch das private Gebet. Aus diesem Grund war das Buch der Psalmen auch ganz selbstverständlich das „Gebetbuch“ des Herrn und Seiner Apostel, wie auch aller anderen frommen Juden.

 

Nach dem Gesang von Versen aus den Psalmen des ersten Kathisma liest der Diakon die kleine Fürbitte (Ektenija) und der Chor singt dann Verse aus den Luzernar-Psalmen: „Herr, ich rufe zu Dir...“. War die Kirche bisher bis auf das Leuchten der Lampaden (Votivlichter vor den hl. Ikonen) in Dunkel gehüllt, so werden nun auch die Opferkerzen auf den Kerzenständern entzündet. Deshalb heißen die jetzt gesungenen Psalmen Luzernar- oder Leuchter-Psalmen.

 

Nach dem Gesang der ersten Verse („Herr, ich rufe zu Dir, erhöre mich …“) werden der Großteil der Luzernarpsalmen dann nicht gesungen sondern gelesen. Zwischen die letzten Verse der Psalmen werden dann „Stichira“ genannte Liedstrophen gesungen. Sie preisen das Heilshandeln unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus, die allheilige Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria, den besonderen Festtag oder den Heiligen, dessen Fest begangen wird. Die letzte Liedstrophe heißt dann „Dogmatikon“. Das Dogmatikon preist die Menschwerdung des Gottessohnes aus der allheiligen Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria.

 

Während des Singens des Dogmatikons findet dann der abendliche Einzug statt. Bereits zum Dogmatikon wurde der Kronleuchter unter der Kuppel im Kirchenschiff und auch alle anderen Lichter in der Kirche entzündet. Der Priester, vor dem der Diakon mit dem Weihrauchfass, an Festetagen mit den hl. Evangelienbuch geht, schreitet durch die nördliche Tür der Ikonostase auf die Solea hinaus. Davor trägt ein Altardiener eine Kerze. Der Priester wendet sich mit dem Gesicht zur Königstür und gibt den Einzugssegen. Dann ruft der Diakon: „Weisheit! Aufrecht!“ Danach gehen beide in den Altarraum. Der Chor singt jetzt zur Ehre des Gottessohnes den altkirchlichen Christus-Hymnus „Mildes Licht...“.

 

Während des Einzugs beweihräuchert nun der Diakon den hl. Altar und die Christusikone in der Apsis. In dieser Zeit küsst der Priester die kleinen Ikonen des Heilands und der Mutter Gottes, die neben den Königlichen Türen angebracht sind, segnet das Volk und betritt dann wiederum den Altarraum. Dort verneigen sich Priester und Diakon zusammen vor dem Altar und küssen danach den hl. Tisch.

 

An den hohen Festen werden danach alttestamentliche Lesungen vorgetragen. Der Ausruf „Weisheit! Aufrecht!“ gemahnt uns daran, dass wir Gläubigen nun der prophetischen Vorankündigung des Heiles in den abendlichen, alttestamentlichen Lesungen hören werden. Es gilt deshalb „aufrecht zu stehen“, also geistlich konzentriert und zum Hören des Gotteswortes bereit zu sein.

 

Auch wenn die die alttestamentlichen Lesungen heute nur noch an Festtagen vorgetragen werden, folgt auch heute noch der diese Lesungen einleitender kurzer Psalmvers, das „Abend-Prokimen“. Am Vorabend der Sonntage lautet der Prokimen: „Der Herr ist König…“. Das Prokimenon wird in besonderer Weise gesungen. Zuerst singt der Diakon den ersten Vers des Psalms. Dieser wird dann vom Chor wiederholt. Danach liest der Diakon den zweiten Vers und der Chor wiederholt den ersten Vers. Zum Schluss wiederholt der Diakon den ersten Vers, aber nur bis zur Hälfte. Der Chor singt darauf den zweiten Teil.

 

Nach der Inständigen Fürbitte (Inständige Ektenja) wird die Abenddoxologie „Würdige uns, o Herr, an diesem Abend ohne Sünde bewahrt zu werden“ gelesen. Dann folgt die Bitt-Ektenja. Nach der Ektenija spricht der zelebrierende Priester über das versammelte Volk das Hauptbeugungsgebet.

 

An großen Festtagen wird an dieser Stelle vor dem Gesang des hl. Symeon noch die Litija, ein besonders feierliches Fürbittgebet, eingeschoben. Die Litija ist ein großes Fürbittengebet für die Anliegen der ganzen orthodoxen Christenheit und der Welt. Da sie an der Kirchentür im Narthex stattfindet, konnten an ihr in altchristlicher Zeit auch Katechumenen und Büßer unmittelbar teilnehmen. Dabei erfolgt eine Segnung von Brot, Wein und Öl.

 

Bei der Litija kommen der Priester und der Diakon während des Gesangs von besonderen Stichiren aus dem Altarraum und gehen bis zur Eingangstür der Kirche. Auf einen Tisch, der vor der Festtagsikone in der Mitte der Kirche aufgestellt wird, stellt ein Altardiener unterdessen ein besonderes Gefäß (Litijnij Pribor) mit Weizen, Wein, Öl und fünf Broten.

 

Nachdem der Diakon die Fürbittgebete der Litija vorgetragen hat, geht der Priester zum Tisch mit dem Gefäß mit dem Weizen, Wein, Öl und den Broten. Der Priester segnet alles, was sich in den Gefäßen befindet, und bittet Gott, dass die Lebensmittel in unserem Land und in der ganzen Welt nicht versiegen mögen und dass Gott diejenigen heiligen möge, die in Ehrfurcht davon essen.

 

Mit dem in der Litija gesegneten Öl werden später in der Utrenja während der Verehrung des hl. Evangelienbuches und der Festikone die Gläubigen gesalbt. Dabei wird dann auch das gesegnete Brot zur geistlichen Stärkung der Gläubigen verteilt, das mit dem Wein beträufelt wurde.

 

Unter dem Gesang der „Aposticha“ kehren der Priester und der Diakon aus dem Narthex in die Kirche zurück. Die Aposticha sind poetische Strophen, die das Festgeheimnis betrachten. Sie werden von Psalmversen eingerahmt. An gewöhnlichen Sonntagen werden die Stichen zu den Aposticha aus dem Ps 92:1 genommen. Sie sind ein uralter Bestandteil der Večernja und erinnern an einen besonderen Teil aus der alten Jerusalemer Kathedralvesper, wo die Priester und Gläubigen zur Verehrung der Reliquie des hl. Kreuzes zur Golgotha in der Anastasis(Grabeskirche) hinaufstiegen.

 

Den Schluss der Večernija leitet dann der Lobgesang des hl. Symeon des Gottesträgers ein. Entweder singt der Chor oder liest der Leser jetzt diesen kurzen Hymnus: „Nun entlässt Du, Herr, Deinen Diener...“ Der Leser liest dann die Einleitungsgebete. Nach dem Vater Unser wird der Kronleuchter unter der Kuppel im Kirchenschiff und auch alle anderen Lichter in der Kirche erneut entzündet. Dann singt der Chor während der Feier einer Nachtwache an den Vorabenden der Sonntage dreimal das Troparion „Gottesgebärerin Jungfrau freue Dich…“ im 6. Ton. An den Festtagen folgt hier aber das Fest-Troparion (zweimal), dann „Ehre…Jetzt…“ und das Theotokion (Gottesmutterlied) im Ton des vorangegangenen Troparions. An den Hochfesten aber folgt hier dreimal das Fest-Troparion.

 

Danach singt der Chor dreimal das kurze Gebet des hl. gerechten Hiob „Gepriesen sei der Name des Herrn von nun an bis in Ewigkeit“ und der Leser trägt den Psalm 33 vor. Am Schluss der Večernija segnet dann der Priester das Volk vom Ambon aus. Damit ist der erste Teil der Nachtwache, die Večernja, zu Ende gegangen. Den zweiten Teil der Nachtwache bildet das liturgische Morgengebet, die Utrenija. Ihre Betrachtung findet sich hier unter der Rurik „Morgengottesdienst“.

 

Priester Thomas Zmija