Orthodoxe Perspektive-Ein Magazin zur Förderung des Glaubenswissens orthodoxer Christen

 

 

Weihnachten feiern in Ost und West

 

Während für viele evangelische und katholische Christen die weihnachtliche Festzeit bereits mit dem Advent beginnt und meist schon mit den ersten oder zweiten Weihnachtsfeiertag endet, feiern orthodoxe Christen das Weihachsfest zwischen dem 25. Dezember (Hochfest der Geburt Christi) und dem 07. Januar (Taufe Christi). Diese Zeit wird in der russischen Tradition die „heiligen Tage“ genannt. Der heilige Abend (24. Dezember) und der Vorabend von Theophanie (06. Dezember) sind in der orthodoxen Tradition strenge Fasttage

 

Landläufig ist man oft der Meinung, dass in Russland und der Ukraine das orthodoxe Weihnachtsfest am 07. Januar gefeiert würde. Dabei stammt die Differenz von 13 Tagen zwischen dem westlichen und östlichen Weihnachtstermin aus dem einfachen wie erklärungsbedürftigen Grund, da es unterschiedliche Kalendertraditionen gibt. Die katholischen und evangelischen Christen folgen dem „gregorianischen Kalender“, während die Mehrheit der orthodoxen Christen dem älteren, julianischen Kalender folgen. Nach dem bürgerlichen (gregorianischen) Kalender fällt deshalb der 25. Dezember des kirchlichen (julianischen) Kalenders eben auf den 7. Januar.

 

Die Russische Orthodoxe Kirche behielt auch nach der Oktoberrevolution den julianischen Kalender bei, während die sowjetischen Machthaber den Übergang zum im Westeuropa gültigen gregorianischen Kalender vollzogen. Dieser „alte Kalender“ für den kirchlichen Jahreslauf wurde dann zu einem stillen Zeichen der geistlichen Opposition zur kommunistisch-atheistischen Staatsmacht. Die Kommunisten verfolgten über 70 Jahre lang das Ziel den Glauben und die Kirche zu zerstören. Heute leben die Russische, Serbische, Georgische Orthodoxe Kirche sowie das Patriarchat von Jerusalem nach dem julianischen Kalender, die griechisch geprägten Orthodoxen Kirchen (Konstantinopel, Alexandrien, Jerusalem, Zypern und Griechenland) sowie die Rumänische Orthodoxe Kirche, aber auch viele Gemeinden in der orthodoxen Diaspora, nutzen heute den bürgerlichen Kalender auch im kirchlichen Jahreslauf. Die Kalenderfrage wird oftmals von kirchlichen Zeloten und Fundamentalisten gern zur „Streitfrage des Glaubens“ und zum „Lackmustest der wahren Orthodoxie“ hochgespielt. Aber ob wir dem „alten Kalender“ oder dem „neuen Kalender“ folgen, ist eine Frage der lokalkirchlichen Disziplin, in die wir durch unsere Zugehörigkeit zu einer bestimmten orthodoxen Landeskirche eingebunden sind. Dies ist gewiss kein Grund zu Zwist oder Streit unter den Gläubigen!

 

Der 24. Dezember (alten Stils)/ 06. Januar (neuen Stils) ist der letzte Tag der Weihnachtsfastenzeit. Am Heiligen Abend (russisch: Sotschelnik) wird bis zum Aufgang des ersten Sterns am Abendhimmel streng gefastet. Hintergrund dafür ist ein eucharistisches Fasten, denn die Christvesper ist in der orthodoxen Tradition mit der ersten Weihnachtsliturgie verbunden. Diese wird nach der langen und feierlichen Ordnung der Basilius-Liturgie gefeiert. Am Vormittag werden in den Kirchen die Großen (Königlichen) Stunden gebetet. Am Nachmittag wird dann die Christvesper mit der ersten Festliturgie gefeiert. Um kommunizieren zu dürfen essen und trinken die Gläubigen seit Mitternacht nichts mehr. Dies ist der kirchliche Hintergrund für den volkstümlichen Brauch bis zum Erscheinen des ersten Sterns streng zu fasten.

 

Vor allem in der Ukraine versammeln sich am Heiligen Abend (Sviatij Vechir) die Familien zu einem feierlichen, traditionell 12 Speisen (12 wegen der zwölf Apostel) umfassenden Festessen, das sich aber den kirchlichen Fastenregeln entsprechend noch vollkommen vegan oder zumindest fleischlos gestaltet sein sollte.

 

Unverzichtbar für die russisch-orthodoxe weihnachtliche Festtafel ist auf jeden Fall Kutja, eine mit Honig gesüßte, sowie mit Mohn und/oder Trockenfrüchten versetzte Weizenspeise. Sie eröffnet das festliche Essen am Heiligen Abend.

 

In einigen Gegenden der Ukraine kennt man ebenfalls noch ein Weihnachtsbrot, den Kolach, ein süßes, mit einem hellen Stern verziertes Hefebrot. In anderen ukrainischen Gebieten tritt an die Stelle des einen Kolach drei ringförmige, geflochtene Kolachi, in deren Mitte dann eine Kerze gestellt wird. Auch eine Weizengarbe der Diduch darf am Weihnachtsabend auf der Tafel in der Ukraine oftmals nicht fehlen.

 

Der Weihnachtstisch ist mit zwei leinenen Tischtüchern bedeckt. Das unter Tischtuch der weihnachtlichen Festtafel symbolisiert die Grablinnen der im Herrn entschlafenen Vorfahren, das obere Tischtuch steht für die weißen Taufgewänder der noch auf Erden lebenden Angehörigen. Unter den Tischtüchern ist Stroh auf die Tischplatte gestreut. So symbolisiert der Tisch zugleich auch die hölzerne Krippe zu Bethlehem und das Stroh steht symbolisch für das Heu in der Krippe. Ebenfalls werden Münzen auf die Tischplatte gelegt, als frommer Wunsch um Gesundheit und Wohlergehen im kommenden Jahr.

 

Am Weihnachtsabend versammeln sie sich alle an der familiären Festtafel. Anderes als heute im westlichen Kulturkreis gehören Weihnachtsgeschenke nicht traditionell zum orthodoxen Heiligen Abend. Heute werden in Russland aber Geschenke zum Neuen Jahr überreicht, während traditionell die Bescherung der Kinder am Fest der heiligen Nikolaus (06. Dezember) oder am Fest des heiligen Vasilij (Basilius der Große am 01. Januar) stattfand, denn die Vita beider großer Heiliger ist mit großer Freigiebigkeit und Mildtätigkeit verbunden.

 

Aber inzwischen ist nach westlichem Vorbild das Beschenken der Kinder auch am Heiligen Abend durchaus üblich geworden, so dass russischen Kinder oft sowohl am Heiligen Abend als auch an Silvester Geschenke erhalten.

 

Im Anschluss an das traditionelle Weihnachtsessen gehen fromme orthodoxen Familien in Russland zum wichtigsten der weihnachtlichen Gottesdienste. Die feierliche Nachtwache (Christmette) wird in der Nacht vom 24. Dezember /06. Januar auf den 25. Dezember/ 07. Januar gefeiert. Dieser Nachtwache folgt ab Mitternacht dann die zweite Festliturgie, die der Ordnung der Chrysostomus-Liturgie gefeiert wird. Während die Christvesper und die erste Weihnachtsliturgie noch in den roten liturgischen Gewändern der Fastenzeit gefeiert wurden, werden die Nachtwache und die zweite Weihnachtliturgie bereits im festlichen Weiß gefeiert. Weiß ist dann auch die bleibende liturgische Farbe für den dritten Weihnachtsfeiertag und die übrigen Tage bis zum Festabschluss des Weihnachtsfestes. Auch das Fest der Taufe Christi (Theophanie) wird in weißen Gewändern gefeiert.

 

Mit dem Heiligen Abend (russisch: Sotschelnik, ukrainisch: Sviatij Vechir), beginnen traditionell die „Swjatki“, die „Heiligen Tage“, die mit dem Fest der Theophanie, der Taufe des Herrn mit der Großen Wasserweihe enden. Nach dem in der Russischen Orthodoxen Kirche geltenden alten Kalender wir das Hochfest der Theophanie am 19. (06.) Januar gefeiert. Bevor der atheistische Kommunismus den auch im alten Russland durch vielfältige Bräuche ausgeprägten Jahreslauf, die mit dem kirchlichen Leben in enger Verbindung standen, ausgelöscht hat, waren die Swjatki die längste und beliebteste Fest des ganzen Jahres, eine fröhliche unbeschwerte Zeit für Jung und Alt. Die traditionellen Swjatki-Bräuche, die in vielem an die westeuropäischen Karnevalsbräuche erinnerten, sind heute nach 70 Jahren Atheismus weitgehend verschwunden.

 

Ab dem Heiligen Abend, in einigen Gegenden aber erst ab dem zweiten Weihnachtsfeiertag, zogen Sternsinger mit einer sternförmigen großen Papierlaterne oder mit einem hölzernen Stern singend von Haus zu Haus und erhielten dafür Geschenke (Süßes Gebäck, Piroggen, Dörrobst oder auch Geld). Die Sänger, meist kleine Gruppen junger Leute, trugen die „Koljadki“, die russischen Weihnachtslieder vor, machten dabei Späße und Schabernack und wünschten den Menschen Segen und Wohlergehen anlässlich der Festtage und sammelten dabei manchmal auch Geld und andere Gaben für einen guten Zweck. Denn nicht umsonst sagt der alpenländische Volksmund, dass das kirchliche Leben durch die jahrhundertealten Volksbräuche in jedem Haus erwacht. 

Auch das volkskirchliche Leben der abendländischen Christen ist durch viele, religiös begründete Bräuche geprägt. Zu ihnen zählen Tannen- und Lichterschmuck, Adventskränze und -kalender, Krippenspiele, Weihnachtslieder und -geschichten, Basteleien, Weihnachtsmärkte und die Weihnachtsbäckerei.

 

Weil die Liebe Jesu Christi zu den Menschen für die gläubigen Christen alle Dunkelheit überstrahlt, spiel das Licht schon in der Adventszeit eine besondere Rolle. Je näher Weihnachten rückt, desto heller strahlen Kerzen und Lichter und legen der Zauber der Weihnachtszeit selbst in die Herzen nicht kirchlich orientierter Menschen.

 

In keiner Kirche, keiner Behörde und fast keinem christlichen Haushalt fehlt ein Adventskranz aus Tannenzweigen. An jedem Adventssonntag leuchtet darauf eine weitere Kerze auf. Nach der evangelischen Tradition sind die Kerzen des Adventskranzes in hell leuchtendem Rot gehalten. In der katholischen Tradition sind es drei violette Kerzen und eine rosafarbene Kerze. Violett, die Farbe der Buße, ist in der katholischen Kirche die liturgische Farbe des Advents, denn die Vorbereitungszeit auf Weihnachten soll von einer Gesinnung der Umkehr und Buße bestimmt sein. Mit dem Bibelvers "Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! " - lateinisch "Gaudete in Domino semper" - wird der katholische Gottesdienst am dritten Adventssonntag eröffnet. Es herrscht Freude darüber, dass der Herr mit der Erlösungsgnade nahe ist und das Hochfest der Geburt Christi bevorsteht. Am Sonntag "Gaudete" wird die rosafarbene Kerze angezündet. Damit wird die Freude zum Ausdruck gebracht, denn Rosa ist das aufgehellte Violett.  Auch die Messgewänder im Gottesdienst sind dann rosafarben.

 

Erst im 16. Jahrhundert auf dem Konzil von Trient (1545 – 1563) wurde in der katholischen Kirche die Adventszeit auf vier Wochen festgelegt. Der erste Advent ist üblicherweise am Sonntag zwischen dem 27. November und dem 3. Dezember. Die Adventszeit endet am Heiligen Abend. Aber in einigen Gegenden in Italien dauert die Adventszeit, genau wie die orthodoxe Fastenzeit, noch heute sechs Wochen. Ursprünglich begann die Adventszeit nach dem Fest des hl. Martin von Tours am 12. November.

 

In der Adventszeit üben in Kirchengemeinden und Schulen die Kindern und Jugendlichen Krippenspiele ein. Sie erzählen dabei die Geschichte der Geburt des Erlösers im Stall von Bethlehem. Kirchen und Musikschulen verschicken Einladungen zu Weihnachtskonzerten. Manche sammeln Geld für Menschen in Not. Sie wollen die Liebe, die sie von Gott empfangen, an andere weitergeben.

 

In fast jeder christlichen Familie hängt ein Adventskalender und vertreibt Kindern die Wartezeit. Sie dürfen an jedem Tag ein neues Türchen öffnen. Dahinter finden sie ein kleines Bild oder Schokolade.

 

Viele Christen basteln in der Adventszeit auch Weihnachtsschmuck und Geschenke für Freunde und Verwandte, backen Plätzchen oder lesen, singen und spielen Weihnachtsgeschichten und -lieder. Sie erklingen sogar draußen vor der Tür, denn in fast jedem größeren Ort stimmen Weihnachtsmärkte mit Musik und Duft von Zimt und gebrannten Mandeln auf das Weihnachtsfest ein.

 

Das reiche Brauchtum macht die Advents- und Weihnachtszeit - gerade in Deutschland - zum Fest der Feste. So ist „Weihnachten“ hierzulande bei unseren evangelischen und katholischen Mitchristen eindeutig das beliebteste Kirchenfest, das alljährlich bei vielen gläubigen Christen, aber auch bei vielen kirchenfernen und sogar nicht-christlichen Mitmenschen eine sentimentale Gemütsverfassung hervorruft. Durch das mit menschlichen Sehnsüchten und Erwartungen arbeitende Weihnachtsgeschäft entsteht eine fast romantische Weihnachtsstimmung. Gerade die Adventszeit ist davon geprägt.

 

Das Wort „Weihnachten“ stammt von der mittelhochdeutschen Wendung „ze wihen naht“, was etwas mit „geweihte, heilige Nacht“ übersetzt werden kann.

Wird die weihnachtliche Festzeit im Westen vor allen durch die Adventszeit geprägt, so sind es in Russland und der Ukraine die Festtage zwischen dem Fest der Geburt Christi und dem Fest der Taufe des Herrn. Die Atmosphäre dieser russischen Feiertage zwischen den Jahren lässt sich besonders schön beim exilrussischen Schriftsteller Iwan Schmeljow nachlesen. Schmeljow wurde als viertes von fünf Kindern in einer den russischen Traditionen eng verbundenen Moskauer Kaufmannsfamilie geboren. In seinem Buch „Wanja im heiligen Moskau“ in dem er die kirchlich geprägte Lebensordnung im alten Russland so treffend beschrieben hat, erzählt er auch von den vom vergangenen Zauber der Swjatki: „Drei Tage vor Weihnachten ragte auf den Märkten und Plätzen – ein Wald von Tannen. (…) Das Volk bummelt und sucht sich seine Christbäumchen aus. (…) Allenthalben lodern Holzfeuer, an denen sich die Leute aufwärmen. Der Qualm steigt säulenförmig gen Himmel. In Samowaren brodelt der Sbitjen. Das ist ein heißes Getränk, besser noch als Tee. Mit Honig und Ingwer – duftet wunderbar und schmeckt süß. (…)“. Neben Sbitjen wurden ebenfalls heiße Fruchtsäfte aus Dörrobst gereicht. Der Sbitjen-Trunk, der urkundlich übrigens bereits im frühen 12. Jahrhundert erwähnt wird, war das beliebteste russische Heißgetränk vor der Einführung des Tees aus China.

 

Nicht Glühwein, sondern Sbitjen und der Absud aus Dörrobst prägten die russischen Weihnachtsmärkte, auf denen ebenfalls der Christbaumschmuck erstanden werden konnte. Der Weihnachtsbaum kam erst im 19. Jahrhundert aus Westeuropa nach Russland. „Jolka“ ist das russische Wort für Tannenbaum, der in Russland überaus prächtig mit goldenen Schleifen, schillernden Kugeln und vielen Leckereien für die Jüngsten geschmückt wird. Mit dem Schmuck des Baumes wurden aber auch in Russland viele christliche und symbolische Inhalte verbunden: Die Kerzen verkörpern das das Dunkel durchdringende Licht des neugeborenen Christus, die goldenen Kugeln und Schleifen stehen für Wohlergehen, das man sich und anderen wünscht, das Zuckerwerk und Lebkuchen symbolisieren Zufriedenheit, Liebe und Eintracht in der Familie.

 

Die „Krippe“ ist in Russland unbekannt geblieben. Seine Ursprung hat der Brauch, die Weihnachtsgeschichte mit Hilfe von Figuren darzustellen, im Leben eines der beliebtesten katholischen Heiligen, dem Franziskus aus Assisi. Im Jahre 1223 hat er am Weihnachtsabend mitten im Wald eine Krippe mit Menschen und Tieren als Darstellern aufgebaut und den dort anwesenden Gläubigen dann das Weihnachtsevangelium vorgetragen. Von Italien aus breitete sich die Tradition der Weihnachtskrippe dann im 16. Jahrhundert in die katholischen Gegenden Deutschlands aus. Zunächst war die Krippe ein Die Weihnachtskrippe ein katholisches Element. Die Bedeutung, die der Weihnachtsbaum bei den evangelischen Christen hatte, nahm bei den Katholiken die Krippe ein. Später übernahmen auch die Katholiken Adventskranz und Weihnachtsbaum, während auch im evangelischen Kontext Krippen aufgestellt wurden. 

In vielen orthodoxen Familien unter dem Weihnachtsbaum oft ein kleiner Hocker oder Tisch mit der Christi-Geburts-Ikone, vor der Kerzen oder auch bunte Votivlichter brennen. Auch Engelfigürchen und Sterne mit kleinen Ikonen am Weihnachtsbaum verweisen auf den christlichen Charakter des Festes hin.

 

In Russland ist Weihnachten bis heute eher ein kirchliches Fest, geprägt von langen und feierlichen Gottesdiensten, als eine ausgeprägte Familienfeier wie gerade in der deutschen Tradition.

 

Unverzichtbarer des Weihnachtsfestes ist bis heute in den orthodoxen Familien die Kutja. Diese Speise aus gekochten und mit Honig gesüßten Weizenkörnern, die oft zusätzlich noch mit Dörrobst gemischt ist, stellt man auf Heu in den Herrgottswinkel („Krasnyj Ugol“) unter die Haus-Ikonen der gläubigen Familie. Sie gilt traditionell als eine symbolische Gabe für Christus. Ein Löffel von der Kutja eröffnet das russische Weihnachtsessen in den kirchlichen Familien. Die Bauern brachten vor der Revolution etwas von der Kutja auch den Tieren im Stall.

 

Eine Adventszeit wie im Westen kennt man in den orthodox geprägten Ländern nicht. Die vierzigtägige Zeit des Weihnachtsfastens am 15. November. Diese Fastenzeit verbindet Verzicht, Buße und Erneuerung mit einer Reihe von Festen, die schon einen ausgesprochen vorweihnachtlichen Charakter tragen, indem sie in ihren Hymnen die Geburt des Gottessohnes deuten und verkünden. Hier ist an erster Stelle das Fest der Einführung der allheiligen Gottesgebärerin in den Tempel (21. November) zu nennen, welches im Westen auch als „Gedenktag Unserer Lieben Frau (wie die Gottesmutter auch genannt wird) in Jerusalem“ bekannt ist. Es stellt in seinen Hymnen und gesängen den Tempel des Alten Bundes dem neuen Tempel des Fleisch gewordenen Wortes Gottes gegenüber; denn alles Wohnen Gottes in Israel zielt auf seine Ankunft im Fleisch:

 

„Heute ist die Vorfeier des Wohlgefallens Gottes, kündet sich an die Erlösung der Menschen. Untrüglich erscheint im Tempel Gottes die Jungfrau und kündigt allen Christus an. Ihr laßt auch uns mit lauter Stimme rufen: Sei gegrüßt, Du Erfüllung der Heilsordnung des Schöpfers.“

 

Tropar des Festes

 

Durch das Fest der Empfängnis der allheiligen Gottesgebärerin (09. Dezember) wird die Kontinuität im Heilsplan Gottes deutlich. Schrittweise befreit der Herr durch die Gerechten des Alten Bundes, die mit seiner Gnade zusammenwirken, Sein Volk vom Fluch der Sünden und der geistlichen Unfruchtbarkeit, bis in der Empfängnis der heiligen Gottesgebärerin Sein Heilswerk einen ersten Höhepunkt erreicht.

 

Auch die Feste anderer Heiliger bilden gleichsam eine mystische Leiter des Aufstiegs zum Weihnachtsfest. So werden die Hymnen der Feste dieser Heiligen – z.B. die Feste des heiligen Andreas (30. November), der heiligen Barbara (04. Dezember) und des heiligen Nikolaus (o6. Dezember), die auch in der katholischen Kirche begangen werden – zu Quellen vorweihnachtlicher Freude, da sie die Propheten, Joseph, die Hirten, die Weisen aus dem Morgenland, aber auch Bethlehem, die Höhle, die Krippe und den Stern auffordern, sich auf das unbegreifliche Geheimnis der Menschwerdung Gottes einzustellen, um so auch die Gläubigen in diese Haltung einzustimmen:

 

„Bereite dich, Höhle; denn das Mutterlamm kommt Christus tragend in ihrem Schoß. Krippe, nimm den auf, der durch das Wort uns Erdgeborene von widersinnigem Wandel befreit. Ihr Hirten des Feldes, bezeugt das furchterregende Wunder! Ihr Weisen aus Persien, bringt dar dem König Gold, Weihrauch und Myrrhe. Denn erschienen ist der Herr aus der Jungfrau-Mutter.“

 

Theotokion der Vesper am 06. und 24. Dezember und am Sonntag vor Weihnachten

 

Außerdem gehen dem Hochfest der Geburt Christi zwei besondere Sonntage voraus. Der erste, der „Herrentag der Gottesahnen“, würdigt vor allem das geistige und moralische Zeugnis der Väter und Vorväter Christi. Zu ihnen zählen z.B. Adam, Abraham, Mose und Aaron, David und die Propheten, die bereits in der Zeit des Alten Bundes durch ihren Glauben die Hoffnung auf die Erlösung wachhielten und die endgültige Erlösung durch Christus ankündigten. Der „Herrentag der Genealogie“, der Sonntag vor Weihnachten, ruft uns nochmals die großen heiligen Gestalten des Alten Bundes, dieses Mal unter dem Gesichtspunkt der Blutsverwandtschaft zu Jesus, vor Augen. Dadurch werden die Glieder jener Ahnenkette, die von Abraham - oder gar von Adam - bis Jesus reicht (Mt 1:1-17; Lk 3: 23-38), in das Heilgeschehen mit einbezogen, obwohl sie sich teilweise großer Verfehlungen schuldig gemacht haben. So wird deutlich, dass sich Gott in der Geburt Seines Sohnes aus der Jungfrau vorbehaltlos in diese Verwandtschaft eingegliedert und sich so mit Israel und der gesamten Menschheitsfamilie verbunden hat. Das göttliche Kind ist folglich nicht nur Frucht einer fortschreitenden, in Maria gipfelnden Heiligung, sondern auch Erbe einer Genealogie des Unheils. Gerade deshalb ist Gott aber in Jesus Christus Mensch geworden, um die Menschen auf den Weg des Lebens zurückzuführen.

 

Die letzten fünf Tage vor Weihnachten (20. bis 24. Dezember) bilden die eigentliche Vorfeier der Geburt des Herrn, deren Hymnen das Festgeheimnis in seiner ganzen theologischen Breite bereits entfalten. Dabei umkreisen sie nicht zuletzt die Erfüllung der alttestamentlichen Heilserwartung in der Menschwerdung des Gottessohnes, die kosmische Dimension dieses Ereignisses, die Wesensgleichheit des Neugeborenen mit dem Vater und mit uns, aber auch seine unerklärliche Entäußerung. Schließlich kommt in ihnen zur Sprache, dass Gott schon in der Höhle von Betlehem das Ziel seiner Menschwerdung offenbart. Er wird Mensch, um uns allen das Paradies wieder zu öffnen, ja mehr noch: um sich uns als Speise des ewigen Lebens zu schenken und um uns als gefallene Menschen wieder aufzurichten. In diesem Sinne lädt der Mensch gewordene Gottessohn die Gläubigen gerade in der Vorfeier seiner Geburt ein, sich mit ihm in der Göttlichen Eucharistie auf unbegreifliche Weise – durch eine Teilhabe an den geheiligten Gaben – zu vereinigen und so das geistige Paradies zu erlangen:

 

„Bereite Dich Betlehem, offen steht allen Eden. Rüste Dich Ephrata; denn der Jungfrau entsprosst in der Höhle des Lebens Baum. Ihr Schoß ward offenbar als geistiges Paradies. In ihm wurzelt der göttliche Spross. Wenn wir von Ihm essen, werden wir leben, wir werden aber nicht sterben wie Adam. Christus wird geboren, um das einst gefallene Bild Gottes wieder aufzurichten.“

Tropar der Vorfeier

 

An Weihnachten beginnt also ein Opfer, das im Tod am Kreuz seinen Höhepunkt erreicht. Darauf verweisen schon auf der Weihnachtsikone das Dunkel der Höhle, die Einsamkeit des Kindes, die oft altarförmige Gestalt der Krippe, die Gestalt des Kindes in der Form eines Brotes, die den Grablinnen ähnelnden Windeln.

Die Feier des Vortags der Geburt Christi folgt dem liturgischen Vorbild des Großen Freitag und Samstag (Karfreitag und Karsamstag). Sie umfasst die Königlichen Stunden, die mit der Feier der Göttlichen Liturgie verbundene Vesper und die, um eine Segnung von Brot, Öl, Wein und Weizen erweiterte Große Komplet, an die sich dann der Morgengottesdienst (Utrenja) des Weihnachtsfestes anschließt.

 

Als Höhepunkt der vierzigtägigen Vorbereitung auf das Weihnachtsfest leitet dieser Tag mit seinem strengen Fasten und seiner liturgisch dichten Vergegenwärtigung des Geheimnisses der Menschwerdung Gottes dann unmittelbar zum Fest über, so dass die gottesdienstlichen Grenzen zwischen Vorbereitung und Fest uns wie aufgehoben erscheinen.

 

Gleich der Christvesper im Westen bildet die mit der Basiliusliturgie verbundene Vesper den Auftakt der orthodoxen Weihnachtsgottesdienste. In acht alttestamentliche Lesungen (Prophetien) kündigt sich die in der Menschwerdung Christi verwirklichte Neuschöpfung der Welt und Seine kommende messianischen Friedensherrschaft eines neuen Zeitalters an. Es folgen eine Lesung aus dem Hebräerbrief (Hebr 1:1- 12) und das Weihnachtsevangelium nach Lukas, in dem von der Herbergssuche, von der Geburt im Stall, von der Verkündigung der Engel an die Hirten und von der Auffindung des göttlichen Kindes durch Letztere die Rede ist (Lk 2,1- 20). Am Ende der Göttlichen Liturgie begibt sich der Priester feierlich in die Mitte der Kirche zu einer großen brennenden Kerze, die das neugeborene göttliche Kind symbolisiert, das der Priester hier zusammen mit der Gemeinde im Troparion von Christi Geburt besingt:

 

„Deine Geburt, Christus, unser Gott, ließ erstrahlen der Welt das Licht der Erkenntnis. Denn in ihr hat ein Stern die Verehrer der Sterne belehrt, Dich anzubeten als die Sonne der Gerechtigkeit, und Dich zu erkennen als den Aufgang aus der Höhe. Herr, Ehre sei Dir!“

 

Anschließend kommt im gemeinsam gesungenen Kontakion von Christi Geburt nicht zuletzt die im kleinen Kind offenbarte göttliche Entäußerung zum Ausdruck:

 

„Die Jungfrau gebiert heute Den, der über allem Sein ist, und die Erde bietet die Höhle dem Unzugänglichen. Die Engel lobpreisen mit den Hirten. Die Weisen wandern dem Sterne nach. Denn für uns ward geboren als kleines Kind der Gott vor den Zeiten.“

 

Der dritte große Gottesdienst am Vortag der Geburt Christi ist die Vigil des Weihnachtsfestes. Er wird am Abend oder in der Nacht zelebriert und besteht aus der Großen Komplet, der Segnung von Brot, Wein, Öl und Weizen und dem Morgengottesdienst (Utrenja) Besonders freudig stimmt dabei der heilige Hymnograph Kosmas von Majuma († nach 750) die feiernde Gemeinde im ersten Kanon des Festes in die Feier der Geburt Christi ein:

 

„Christus wird geboren, verherrlicht Ihn. Christus vom Himmel, zieht Ihm entgegen. Christus auf Erden, erhebet euch. Singet dem Herrn, alle Lande, in Jubel preist ihn, ihr Völker; denn Er ist verherrlicht!“

 

Am Weihnachtstag selbst feiern wir dann die Chrysostomusliturgie – oft nach dem Vorbild der Osternacht am frühen Morgen. Wie an Ostern, Pfingsten oder am Fest der Theophanie des Herrn wird dabei das Trisagion durch den Ruf „Die ihr auf Christus seid getauft, habt Christus angezogen! Alleluja.“ (Gal 3:27) ersetzt. Das erinnert uns daran, dass das Fest der Geburt des Herrn in der alten Kirche ein bevorzugter Tauftermin war.

 

Die Feier des Weihnachtsfestes dauert sechs Tage und umfasst insbesondere das Fest („Synaxis“) der Gottesgebärerin am 26. Dezember, das Fest des heiligen ersten Märtyrers Stephanus am 27. Dezember, den Herrentag (Sonntag) nach Weihnachten und den Festabschluss von Weihnachten am 31. Dezember.

 

Am 01. Januar feiern wir dann das Fest der Beschneidung des Herrn, das uns die Unwiderruflichkeit der Menschwerdung Gottes und den ewigen Bund Gottes mit der Menschheit vor Augen führt. Dieses Fest wird zwar vom Fest des heiligen Basilius des Großen fast überstrahlt, da sein Gedächtnis ebenfalls auf diesen Tag fällt und die Festtagshymnen dominiert. Dennoch ist es in erster Linie die Beschneidung Jesu am achten Tag, die den 1. Januar zu einem bedeutenden Fest des weihnachtlichen Zyklus macht. Seine Bedeutung besteht darin, dass der aus der Jungfrau geborene Sohn Gottes als wahrer Mensch in Seiner Beschneidung das jüdische Gesetz vollendet und so unser Herz und unseren Geist von der „Hülle unserer Leidenschaften“ (Troparion des Festes) befreit und für den Heiligen Geist öffnet. In ihm haben die Getauften „eine Beschneidung empfangen, die man nicht mit Händen vornimmt“ (Kol 2:11): die Öffnung ihrer geistigen Sinne, mit denen sie Gottes Wort empfangen und Christus erkennen können.

Das Fest der Taufe unseres Herrn Jesus Christus besitzt im Bewusstsein der orthodoxen Christen eine ganz besonders wichtige Bedeutung. So heißt es bezeichnenderweise im Gebet des Heiligen Sophronios von Jerusalem († 638) zur Großen Wasserweihe dieses Festtages:

 

„Wir preisen Dich, Gottes Eingeborener Sohn, der Du vaterlos aus der Mutter und mutterlos aus dem Vater hervorgegangen bist. Am vorangegangenen Fest sahen wir Dich als Kind. Am gegenwärtigen Fest sehen wir Dich als vollkommenen Menschen, der uns erscheint als unser Gott, als vollkommener Gott vom vollkommenen Gott.“

 

Die Vorfeier von Theophanie umfasst den Herrentag vor Theophanie und die vier Tage vom 2. bis zum 5. Januar. Am Herrentag (Sonntag) vor Theophanie steht in der Göttlichen Liturgie die eindrucksvolle Prophetengestalt Johannes des Täufers im Zentrum des Tagesevangeliums. Er bereitet die Gläubigen gewissermassen auf die Taufe Christi vor, indem er auf jenen verweist, der stärker ist als er und der die Menschen nicht nur mit Wasser, sondern mit dem Heiligen Geist taufen wird (Mk 1:1-8).

 

Innerhalb der zwölftägigen Festperiode, die Weihnachten und Theophanie verbindet, ist der Vorabend von Theophanie (5. Januar) der einzige Fasttag. Seine Gottesdienste gleichen denen des Vortags der Geburt Christi und umfassen am Vormittag die vier, zu einem einzigen Gottesdienst vereinigten, Königlichen Stunden und die mit der Basiliusliturgie verbundene Vesper. Im Unterschied zum Vortag von Weihnachten wird im Anschluss daran dann die Große Wasserweihe gefeiert.

 

Am Abend oder in der Nacht versammelt sich die Gemeinde zur Vigil, die aus der Großen Komplet, der Segnung von Öl, Brot, Wein und Weizen Die beiden Kanones der Heiligen Kosmas von Majuma († nach 750) und Johannes von Damaskus († 744/54), die dann im Morgengottesdienst gelesen werden, feiern mit der Taufe Christi schon Sein gesamtes Heilswerk, das die Erleuchtung der ganzen Schöpfung, die Reinigung Adams und seiner Nachfahren von der Sünde, den Sieg über den Teufel sowie die Heiligung der Gläubigen und ihre Erkenntnis Gottes durch den Sohn im Heiligen Geist herbeiführt. Am Morgen des Festes wird die Göttliche Liturgie nach der Ordnung des heiligen Johannes Chrysostomos gefeiert. Angesichts des unzerstörbaren Bandes, das demnach zwischen Christus und den Getauften besteht, ist es üblich, am Festtag selbst nach der Göttlichen Liturgie die Große Wasserweihe ein zweites Mal zu vollziehen. Diesesmal wird die Große Wasserweihe wenn möglich an einem nahe gelegenen Gewässer vollzogen. So soll liturgisch zum Ausdruck kommen, dass durch die Taufe Christi im Jordan nicht nur die Getauften, sondern die ganze Schöpfung erlöst und erleuchtet wird. Schließlich besitzt auch das orthodoxe Theophaniefest eine Nachfeier, die durch die Synaxis des Täufers am 07. Januar, den Herrentag (Sonntag) nach Theophanie und den Festabschluss am 14. Januar besonders akzentuiert wird.