Kathechesen und Vorträge

 

Hier finden sich Katechesen und Vorträge zu verschiedenen Themen des orthodoxen Glaubens. Die Beiträge sind hier nicht thematisch, sondern chronologisch strukturiert.

 

Das Leben immer neu an Christus ausrichten

 

 

Einer der Grundgedanken des hl. Apostels Paulus die Idee des „Leibes Christi“. Sein oft gebrauchter Ausdruck „in Christus sein“ (vgl. z.B. Gal. 3:  27 f.) meint eine tiefe persönliche Verbindung zwischen den Getauften und dem auferstandenen Christus. Wer „in Christus“ ist, steht unter dem lebenspendenden, umgestaltenden Einfluss Jesu Christi, der aus dem Menschen ein Kind Gottes, einen Teilhaber an der „neuen Schöpfung“ macht. (vgl.: 2. Kor. 5: 17).

 

 

 

Die hl. Taufe ist für das Leben des Gläubigen von grundlegender Bedeutung, denn der Gläubige erhält, durch die Gnade Gottes, Anteil an der vergöttlichten menschlichen Natur Jesu Christi. Dadurch besitzt der Gläubige schon hier auf Erden sakramentalen Anteil am auferstandenen Leben, also ein gnadenhaftes Angeld auf das ewige Leben, was nichts weniger ist als die Teilhabe am Leben des auferstandenen Christus selbst.

 

 

 

Dieses gnadenhafte Leben in Christus vollzieht sich jedoch nicht für sich alleine. Deshalb betont der hl. Apostel Paulus wiederholt: „Wir sind ein einziger Leib in Christus“ (vgl.: Röm. 12: 5; 1. Kor. 12: 12). Christus ist das Haupt Seines Leibes, der die hl. Kirche ist (Kol. 1: 18; Eph. 1: 22 f.).

 

 

 

Für den hl. Apostel Paulus ist die Kirche gleich Christus. Christus kann nicht ohne Seinen Leib gesehen werden, der die Kirche ist. Die Kirche ist in ihrem tiefsten Wesen die Person des Auferstanden selbst.  Denn in der hl. Eucharistie ist Christus mit Seinem heiligen Leib und Seinem kostbaren Blut gegenwärtig und im Empfang der hl. Kommunion gewährt Er allen Gläubigen bereits heute die Teilhabe am mystischen Leib Christi auf Erden, der hl. Kirche. Diese Teilhabe ist der gnadengewirkte Anteil an der Auferstehung und am Leben des kommenden Königreiches Jesu Christi. (vgl.: Vater Dumitru Staniloae; The Sacramentality of the Church).

 

 

 

Die Verchristlichung des Menschen ist für den hl. Apostel Paulus ein ganz und gar realer und nicht nur ein symbolisch-relationaler Vorgang wie ihn die evangelische Rechtfertigungslehre postuliert. Deshalb meint der Ausdruck „Leib Christi“ immer den ganzen und einzigen Christus. Die Eingliederung in diesen geistigen und lebensspendenden Leib (vgl.: 1. Kor. 15: 45) meint immer eine Verwandlung hin zur Vergöttlichung. Diese Verwandlung hat immer zwei Aspekte: den sakramental-gnadenhaften der Verwandlung hin in das lebendige Glied am Leib Christi und den Aspekt der Aneignung der Gnadengabe, also unser freiwilliges Hineinwachsen in die Verchristlichung.

 

 

Dieses Hineinwachsen in die Verchristlichung bedeutet ein immer wieder neues Ausrichten unseres Lebens an Christus. Wir stehen immer von Neuem am Anfang unserer Lebensaufgabe, Christusträger zu werden, von der Liebe Gottes erfasst und bis in unsere menschliche Natur hinein verwandelt zu werden. Welchen Weg sollen und wollen wir hier also beschreiten?

 

 

 

Woran können wir uns orientieren? Was ist zu tun? Was ist tunlichst zu unterlassen? Hier sind unsere Führer und geistlichen Wegweisen die Heiligen Gottes, vor allem die Allheilige Gottesgebärerin. Sie haben den guten Kampf bereits gekämpft und von Christus die Krone des ewigen Lebens empfangen (2.Timotheus 4: 7).

 

 

 

Zugang zum Vater haben wir nach dem hl. Apostel Paulus nur, wenn wir durch die Einpflanzung in Christus, der uns in die Tiefen der Vergöttlichung, des Lebens mit Ihm im Heiligen Geist zum Vater hinführt.

 

 

Die Vaterschaft Gottes darf nicht einfach nur symbolisch verstanden werden; sie ist ein wirklicher Bezug zu Ihm. Wir rufen mit den Worten des Herrn Jesus Christus: „Vater unser“, Abba, lieber Vater“. Das meint nicht einfach einen Euphemismus, sondern eine wirkliche Verwandlung des Menschen durch das Hineingezogen werden in die innergöttliche Liebesbeziehung. Der hl. Apostel Petrus sagt, dass die Christen gnadenhaften Anteil an der göttlichen Natur durch Jesus Christus erlangen (vgl.: 1. Petr. 1: 4). Und der hl. Apostel Paulus schreibt an die Epheser, dass wir durch den Heiligen Geist in Jesus Christus Zugang zum Vater haben (vgl.: Eph 2: 18).

 

 

 

Heiligkeit bedeutet also die gnadengewirkte Teilhabe am innergöttlichen Leben durch den Herrn Jesus Christus im Heiligen Geist. Heiligkeit ist das göttliche Leben in Gemeinschaft mit dem Himmlischen Vater, das uns durch die Vermittlung Jesu Christi kraft des Heiligen Geistes geschenkt wird.

 

Die Christen werden dadurch zu Mitbürgern der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ (vgl.: Eph 2: 19). Die Kirche ist heilig, weil die Menschen durch Christus im Geist teilhaben am innertrinitarischen Leben Gottes, des Allheiligen. Die Vergöttlichung oder Heiligung des Menschen hat deshalb eine grundlegend kirchliche Dimension. Gregor Palamas schreibt deshalb: „Die Kirche ist die Gemeinschaft der Vergöttlichten“. Vor der hl. Kommunion ruft der Priester deshalb: „das Heilige den Heiligen!“

 

 

 

Die Kirche ist heilig, weil sie der Ort unserer Heiligung und die in ihr gespendeten hl. Sakramente die Gnadenmittel zu unserer Vergöttlichung, also zur gottgewirkten Verwandlung hin zum neuen Menschen in Christus sind. Die hl. Sakramente ermöglichen es den Menschen durch den Herrn Jesus Christus im Heiligen Geist mit der Einen Gottheit in drei Personen in eine gelebte Beziehung zu treten. Durch den Herrn Jesus Christus ist so in der hl. Kirche der Grund unseres Heils gelegt, der Anbeginn einer ewig liebenden und ewig währenden Gemeinschaft mit Gott.

 

 

 

Die Rettung des Menschen und seine Vergöttlichung vollzieht sich also in der Aufnahme des Gläubigen in die Gemeinschaft der hl. Kirche durch die hl. Sakramente Taufe, Myronsalbung und Kommunion.

 

 

Durch den menschgewordenen Sohn Gottes Jesus Christus treten die Menschen als Kinder in die Gemeinschaft mit dem Himmlischen Vater ein und durch den Hl. Geist können sie dem Vater im Himmel begegnen, das heißt, zu Ihm beten (vgl.: Dumitru Staniloae, Teologia dogmatică ortodoxă, Bd. I).

 

 

 

Der Mensch erfährt das Gnadenwirken der Allheiligen Dreieinheit in der hl. Kirche. Dabei tritt der Gläubige in engste Gemeinschaft mit dem Dreieinigen Gott und bleibt zugleich vollkommen Mensch. Er nimmt gnadenhaft am Leben der Allheiligen Dreieinheit teil, deren Personen (Hypostasen) in vollkommener Harmonie und Gemeinschaft existieren, ohne Aufzuhören die jeweiligen Göttlichen Personen zu sein. Dies nennen die hl. Väter die Theosis (Vergöttlichung). Innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft, im mystischen Leib Christi, welcher diese Erfahrung der Allheiligen Dreieinheit einschließt, wird der Gläubige, geheiligt, vergöttlicht und erneuert von Herrlichkeit zu Herrlichkeit.

 

 

 

Das innergöttliche Leben der Allheiligen Dreieinheit ist deshalb der Ursprung der Kirche und die Wurzel ihres geistgewirkten Lebens. Die betrifft nicht nur den sakramentalen Teil ihres Seins, sondern ebenfalls ihr, für alle Menschen sichtbares, Leben als eine Gemeinschaft in wechselseitiger Liebe.

 

 

Nur in der Kirche vollzieht sich unsere Vergöttlichung; weil der Leib Christi grundlegend durch den Heiligen Geist auferbaut wird. Die Kirche ist Christus selbst, und die Heiligen sind der Spiegel, in dem wir Christi Antlitz zu schauen vermögen. In Christus verwirklicht sich der Heilsplan Gottes, Seine Selbstmitteilung an die Menschen und ihre Vergöttlichung. (vgl.: Vater Gorges Florovsky; Cristo, lo Spirito, la Chiesa, Ed. Comunità di Bose, Magnano 1997). Wie sich unsere Vergöttlichung vollzieht, das können wir wiederum an den Heiligen lernen. Denn die Heiligung, die Christus für die Menschheit erworben hat, bliebe für uns ohne Bedeutung, wenn wir sie uns nicht aneignen könnten, wenn nicht jeder einzelne Mensch dieses Heil ganz persönlich erlangen könnte.

 

 

 

Die allheilige Gottesgebärerin Maria ist die Mutter aller Christen, da wir durch sie aufgefordert werden, zu Christus kommen und unser ganzes Leben Ihm zu übergeben. Hierin liegt das Geheimnis des Glaubens, das der hl. Apostel Paulus als die Erkenntnis der Wahrheit bezeichnet (vgl. 1. Timotheus 2:4). Die Wahrheit ist aber nicht einfach eine Lehre, sondern sie ist das Wort Gottes, der Göttliche Logos, eine Person, unser Herr Jesus Christus, der menschgewordene Sohn Gottes. Er ist der wahre Weinstock und wir sind Reben (vgl. Johannes 15:5), das bedeutet, zur Wahrheit Christi zu gelangen heißt Glieder am mystischen Leib Christi, in Seiner hl. Kirche, zu werden. Auf diese geistliche Weise werden auch wir Gläubigen Kinder der allheiligen Gottesgebärerin, der Mutter unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus, und damit geistlich zu Brüdern und Schwestern Jesu Christi. Deshalb verstehen sich auch alle Heiligen als Diener der allheiligen Gottesgebärerin. Im göttlichen Heilsplan hat die allheilige Gottesgebärerin Maria von der Seite des Menschengeschlechtes her eine entscheidende Rolle gespielt. An der allheiligen Gottesgebärerin können wir erlernen, was es bedeutet, den freien menschlichen Willen mit dem Willen Gottes in Harmonie und Symphonie (Einklang) zu bringen. Wir werden nicht gegen unseren freien Willen erlöst. Gott respektiert die uns bei der Schöpfung geschenkte menschliche Freiheit. „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott Seinen Sohn, geboren von einer Frau…“ (Galater 4:4). Das „Ja“ Marias zum Heilsplan Gottes geschieht durch ihre vollkommen freiwillige Zustimmung zu den Worten des hl. Erzengels Gabriel: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort". (Lukas 1:38). Durch diese Worte hat die Allheilige Gottesgebärerin Maria nicht nur zu ihrem eigenen Heil mit dem Willen Gottes, sondern vielmehr zum Heil aller Menschen mit dem Willen Gottes zusammengewirkt.

 

 

 

Der hl. Apostel Paulus schreibt: „Das ist der Wille Gottes - eure Heiligung" (1. Thess. 4: 3). Und bereits im Alten Testament lesen wir: „Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig" (Lev. 19: 2). Heiligung ist im orthodoxen Verständnis nicht etwas für abgehobene Mystiker, sondern vielmehr ein ganz konkretes heilendes Tun Gottes in all unserem brüchigen Tun. Es geht um die „Heiligkeit“ im Sinne der wahren Heilung des gesamten Menschen mit Seele, Leib, Verstand und Geist, um das Heilwerden meiner Beziehung zu Gott und zu mir selber, um die Gesundung meiner Beiziehung zu meinen Mitmenschen und am Ende um ein Heilwerden der ganzen Menschheit und am Ende der ganzen Schöpfung.

 

 

All dieses Heilwerden, die gesamte Erlösung und Heiligung der Menschen in Jesus Christus hat ihren Anfangspunkt im Heilswillen Gottes des Vaters und in der Zustimmung der Jungfrau Maria zu diesem göttlichen Heilswillen und Heilshandeln. Deshalb preisen auch wir die allheilige Gottesgebärerin in Gebeten, Liedern und Hymnen. Deshalb erkennt auch die allheilige Gottesgebärerin die Bedeutung des Geschehens, wenn sie im Magnifikat über sich sagt: „Von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter“ (Lukas 1:48).

 

 

 

Wir orthodoxen Christen erkennen an der Empfängnis der allheiligen Gottesgebärerin, dass die göttliche Vergebung der Schuld nicht nur den Menschen in sich heilt, sondern vor allem seine Beziehung zu seinem Schöpfer erneuert und wieder in ihrer Ursprünglichkeit herstellt. Heiligkeit ist nicht irgend eine moralische Tugendhaftigkeit, keine äußerliche Gabe Gottes an den Menschen, sondern Heiligkeit ist die Einwohnung des Heilige Geist in uns, „der ausgegossen ist in unsere Herzen" (vgl.: Röm. 5: 5). In der hl. Taufe wurden wir mit Christi vergöttlichter menschlicher Natur überkleidet und in der hl. Myronsalbung wurden wir besiegelt durch die Gabe Gottes, den Heiligen Geist.

 

 

Auch das hat seinen Anfang genommen in der Empfängnis der allheiligen Gottesgebärerin. So ist die allheilige Jungfrau Maria für uns orthodoxe Christen die Erste und Höchste unter dem gesamten Menschengeschlecht. Sie ist der beseelte Tempel Gottes, deren Leib den Sohn Gott Selbst aufnahm. Und sie empfing den Sohn Gottes durch dem Heiligen Geist. In ihren Hymnen wird die orthodoxe Kirche nicht müde, das Geheimnis der Einwohnung Gottes im Leib der allheiligen Jungfrau zu hochpreisen. Denn wie der Heilige Geist die allheilige Jungfrau überschattete und in ihr Fleisch annahm, so vollzieht sich auch durch Taufe und Myronsalbung in unseren Herzen das Geheimnis der gnadenhaften Einwohnung Gottes, unsere Vergöttlichung.

 

 

Wer an die vollkommene Gottheit und vollkommene Menschheit Christi, unseres Herrn und Erlösers, wirklich glaubt, wird die allheilige Immerjungfrau Maria als Gottesgebärerin anerkennen und ihr die entsprechend gebührende Ehre darbringen und sie als Gottesmutter lobpreisen. Daher hat die Ehrerbietung, die wir als orthodoxe Christen der allheiligen Gottesgebärerin entgegenbringen, eine unmittelbare und unauflösbare Beziehung zu unserer Erlösung in Jesus Christus. Durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus wird die Erlösung der Menschen bewirkt. Wer den Glauben, dass Maria die wahrhafte Gottesgebärerin ist, verwirft und leugnet, sei es in seinem theologischen Denken oder seiner gottesdienstlichen Praxis, der verwirft und leugnet damit im Grunde auch unsere Erlösung durch Jesus Christus, der aus der allheiligen Jungfrau Maria Mensch geworden ist.

 

 

 

In den weihnachtlichen Hymnen der orthodoxen Kirche heißt es: „Vollkommen unsere Armut teilend hast Du unsere irdische Natur vergöttlicht durch dein Eingehen in sie und Teilnehmen an ihr."

 

 

Der Gedanke der Vergöttlichung als Heil des Menschen wird in der Heiligen Schrift mit vielfachen Worten ausgedrückt: Der hl. Apostel Paulus umschreibt die gemeinte Wirklichkeit mit Ausdrücken wie „Kinder und Erben Gottes" (Röm. 8: 14), „Leben Christi im Menschen“ (Gal 4:19), „erfüllt werden mit der Fülle Gottes“ (Eph 3:17) und mit dem Hinweis in Eph. 2: 6, dass „wir mit Christus in den Himmel gehoben sind.“ Der hl. Apostel Petrus fasst das alles zusammen in den Satz in 2. Petr. 1: 4: „auf dass ihr an der göttlichen Natur Anteil erlangt.“

 

 

Der rumänische Theologe Vater Dumitru Staniloae fasst die Lehre der hl. Apostel und hl. Väter so zusammen: In der Heiligkeit erkennt der Mensch sein wahres Wesen, zu dem er berufen ist. Davon ganz ergriffen, erwacht in ihm das Verlangen nach Reinheit und nach der Verbindung mit Gott; und das, weil er Seiner reinigenden Heiligkeit begegnete. Dieses tut ihm wohl, denn er verspürt, dass Gott sein wahres Wesen durchschaut hat und ihn trotz seines sündigen Zustandes nicht verstößt, sondern ihn zur Reinheit ruft. Wenn uns das widerfährt, fühlen wir uns glücklich und erleichtert, da wir nun frei und offen vor Ihm dastehen" (Orthodoxe Dogmatik Bd I).

 

 

 

Hierbei ist die allheilige Gottesgebärin unser nie versagender Beistand und unsere unermüdliche Fürsprecherin. Sie führt auch uns auch zur Heiligkeit, indem sie Ihre Zustimmung zu den Worten des Erzengels auch zu unseren Worten werden lässt: „Siehe ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe, wie du gesagt hast“ (Lukas 1:38).

 

Die kürzeste Zusammenfassung der Heiligung aus reiner Gnade ist für uns orthodoxe Christen die allheilige Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria. Sie ist unsere untrügliche Hoffnung, weil sich an ihr die Heiligung der Schöpfung bereits ganz und gar erfüllt hat.

 

 

 

Aber wir verehren nicht nur die allheilige Gottesgebärerin, sondern ebenfalls die anderen Heiligen Gottes als Helfer bei unserer Heiligung. Wir verehren die Heiligen, weil sie Zeugen für das von Gott geschenkte Heil in einer konkreten geschichtlichen und gesellschaftlichen Situation sind. Die Heiligen sind zu Christusträgern (Christophoroi) geworden. Sie ermutigen uns, uns auch heute dem Wirken der göttlichen Gnade zu öffnen.

 

 

 

Gemäß der Heiligen Schrift sind die Heiligen die „Freunde“ (Jak 2, 2-3) und die „Hausgenossen Gottes“ (Eph 2, 19). Die Verehrung der Heiligen und das Gebet zu ihnen gehören zu den ältesten Tradition der Kirche, die seit der apostolischen Zeit gewahrt wird. Der orthodoxe Gottesdienst unterscheidet klar zwischen der Anbetung Gottes und der Verehrung der Heiligen. Den Heiligen wird Verehrung dargebracht als geheiligten und vergöttlichten Menschen, die eine geistliche Höhe erreicht haben und mit Gott in vollkommener Liebe vereinigt sind.

 

 

Für uns orthodoxe Christen sind die Heiligen eng miteinander und mit Christus verbunden. Wenn wir die Heiligen verehren, dann ehren wir Christus, Der in ihnen lebt: „Christus ist der Anfang, die Mitte und das Ende. Er ist in allen Menschen, sowohl in den ersten als auch in den mittleren und in den letzten“, so sagt uns der hl. Symeon der Neue Theologe.

 

 

 

Und allen also gilt der Anruf Gottes: „Erweist euch als heilig und seid heilig, weil ich heilig bin.“ (Lev. 11: 44b; vgl. 1. Petr. 1: 16). Die Heiligkeit ist also der Lebensweg für jeden Christen. Letztendlich sind die Heiligen jene Christen, die ihr Leben an Christus ausgerichtet haben. Sie haben danach gestrebt, ihrem Herrn und Erlöser so ähnlich wie möglich zu werden.

 

 

Was Heiligkeit für unser Leben ausmacht, legen uns bereits die hl. Apostel ans Herz: So schreibt der hl. Apostel und Evangelist Johannes: „Wer sagt, dass er in Ihm bleibt, muss auch leben, wie Er gelebt hat“ (1 Joh. 2: 6). Und der hl. Apostel Paulus ermahnt die Gemeinde in Korinth: „Nehmt mich zum Vorbild, wie ich Christus zum Vorbild nehme“ (1. Kor. 11: 1) und den Ephesern sagt er: „Ahmt Gott nach als Seine geliebten Kinder“ (Eph. 5: 1).

 

 

 

Die Heiligen wollen aber von uns nicht nur als Superhelden im Glauben verehrt werden. Sie wollen uns in unserem Leben anleiten, damit wir der Liebe Christi begegnen: Sie wollen uns dabei helfen, nach der Lebensweise Christi zu streben. Die Heiligen wollen uns dabei unterstützen, Versuchungen zu widerstehen und in der Hingabe an unsere Mitmenschen um deren Erlösung willen zu leben. Gerade in den Social Media des Internets werden aber die Worte der Heiligen heutzutage zunehmend dazu missbraucht, Fanatismus und Zelotismus zu begründen. Wenn wir aber die Heiligen und ihr Leben in einer solchen Weise verkennen und missbrauchen, dann tragen wir in Wirklichkeit nicht die Heiligkeit als den Geist Christi in die Welt, sondern wir tragen dann den Geist der Welt in die Kirche. Wenn wir die Worte der Heiligen dazu missbrauchen Feindschaften zu schüren und die Menschen gegeneinander aufzubringen, dann vollbringen wir die Sünde als das Werk des Teufels im Menschen. Fanatismus und Gewalt im Namen Gottes sind niemals durch die Worte der Heiligen gedeckt.

 

 

Auch das Mönchtum ist kein Selbstzweck. Es ist vielmehr reine Nachfolge Jesu Christi. Es manifestiert sich in der Liebe zu Gott und den Mitmenschen. Es schließt deshalb niemanden aus und es ist kein Ausdruck eines religiösen Fanatismus. Das Mönchtum und seine vielen Heiligen verkünden mit ihrem Leben das Evangelium Jesu Christi. Dieses Evangelium ist dasselbe für alle Christen, Mönche wie Laien. Es ist die Liebe zu Gott und den Mitmenschen.

 

 

Die Worte der Heiligen, ob sie nun im Mönchtum oder in der Welt gelebt haben, möchten uns die angemessenen Voraussetzungen für die Heilung unserer seelischen Wunden an die Hand geben. Die Heiligen wollen uns zu einer zielorientierten Art und Weise des Lebens in Christo anleiten. Ihre Worte sind Ratschläge, wie wir Christus nachfolgen können in Reinheit, Selbstlosigkeit und Demut.

 

Priester Thomas Zmija

 

 

 

 

 

Die hl. Eucharistie – Quelle unseres Lebens in Christus

 

Das grosse Mysterion (Skrament) der Kirche, ja das Wesen der Kirche als dem mystischen Leib Christi auf Erden, ist die hl. Eucharistie. In ihr wird dem Gläubigen, durch das eucharistisch gewandelte Brot und den eucharistisch gewandelten Wein, das wahre Blut und der wahre Leib Jesu Christi gegeben, zur Vergebung der Sünden und zum ewigen Leben. Die heilige Eucharistie ist »das Sakrament der Sakramente« der orthodoxen Kirche. Sie ist das Herzstück der Kirche, ihre Grundlage, ihr Fundament, ohne das die Existenz der Kirche undenkbar ist.

 

Über diese große Heilbedeutung der hl. Eucharistie sagt uns unser Herr und Erlöser Jesus Christus: „Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. [...] Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Und dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt. [...] Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohns esst und Sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken.“ (Johannes 6: 48-51)

 

 

Aus diesem Grunde ist die Feier der Göttlichen Liturgie für uns orthodoxe Christen Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens. In der Feier der Göttlichen Liturgie erleben wir Theophanie/ Gottesbegegnung, denn Gott selbst ist dort gegenwärtig inmitten der Versammlung der Gläubigen und umgeben von den Chören der hl. Engel und allen Heiligen.

 

 

Ich möchte deshalb heute mit Euch über die Göttliche Liturgie sprechen, darüber, wie sie uns von den hl. Aposteln als Feier der hl. Eucharistie überliefert wurde, wie sie sich dann im Laufe der Kirchengeschichte weiter entfaltet hat, was sie uns in Ihren Handlungen und liturgischen Symbolen vor Augen führen möchte und wie wir orthodoxen Christen durch sie am Heil teilhaben können.

 

 

 

„Gesehen haben wir das wahre Licht, Geist vom Himmel empfangen, rechten Glauben haben wir gefunden, die ungeteilte Dreieinheit beten wir an; denn sie hat uns erlöst.“

 

 

Dieser Hymnus, den wir am Ende jeder Liturgiefeier als Bekenntnis dessen, was an und mit uns geschehen ist, singen, führt uns wesentlichen Momente einer orthodoxen Liturgiefeier vor Augen:

 

In der Versammlung des Volkes Gottes, begegnen wir als Erstes Christus (Christus, das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. vgl.: Johannes 1:9), dem Wort Gottes (Logos), im Wort der Frohen Botschaft (hl. Evangelium).

 

 

Wir begegnen Ihm dann im Mysterion der hl. Eucharistie und nehmen Ihn selbst auf im Empfang der hl. Kommunion.

 

 

Durch das Gebet der Epiklese, durch das die vorgelegten Gaben in den kostbaren Leib und das wahre Blut Christi, aber auch die Versammlung des Volkes Gottes in den mystischen Leib Christi gewandelt worden sind, haben wir in der Liturgiefeier dann auch den Heiligen Geist empfangen.

 

 

 

Das Geschehen der Göttlichen Liturgie ist und bleibt ein göttliches Geheimnis, ein Mysterion, das sich uns nur durch das Wirken des Heiligen Geistes erschließen kann und für die Kategorien dieser Welt stehts unerreichbar, unverstehbar und unerschließbar sein wird (so Vater Alexander Schmaemann), sich aber dem Glaubenden als das „Geheimnis des Glauben“ erschließt (μυστήριον τῆς πίστεως 1. Timotheus 3: 9).

 

 

Deshalb bekennen wir am Ende, dass wir in und durch die Feier der Göttlichen Liturgie rechten (wahren) Glauben gefunden haben, der uns zum Lobpreis Gottes hinführt: „… die ungeteilte Dreieinheit beten wir an; denn sie hat uns erlöst.“

 

 

 

Die orthodoxe Kirche feiert das Mysterion der hl.Eucharistie im Rahmen zweier eucharistischer Liturgien: jene des heiligen Johannes Chrysostomos und jene des heiligen Basilius des Großen (beide aus dem 4. Jh.), die sich im Aufbau sehr ähneln.

 

Beide Liturgien bestehen aus zwei Teilen: der Liturgie der Katechumenen (also derer, die sich auf den Empfang der Taufe vorbereiten, an der aber auch die Getauften teilnehmen), welcher in der abendländischen Tradition dem Wortgottesdienst entspricht, und die Liturgie der Gläubigen, die den eucharistischen Kanon mit der Epiklese umfasst (das Herabrufen des Heiligen Geistes zur Konsekration der Opfergaben) und die Kommunion der Gläubigen.

 

 

Zur Liturgie der Katechumenen gehören die biblischen Lesungen (Epistel und Evangelium) sowie die Predigt und Gebete in der Form der Ektenien für die Gläubigen und für die Katechumenen.

 

 

Der Liturgiefeier geht die Gabenvorbereitung der eucharistischen Gaben Brot und Wein, die Proskomidie, voraus.

 

 

 

Das zentrale, christliche Mysterion (Sakrament) ist die hl. Eucharistie. Die hl. Eucharistie ist aber nicht nur eines unter verschiedenen anderen Mysteria der Kirche, sondern vielmehr ist sie das Mysterion, von dem aus alle anderen Mysteria erst recht gedeutet werden können.

 

 

 

Als hl. Mysterion (Sakrament) bezeichnet die orthodoxe Kirche ein sichtbare liturgische Handlung, in der durch das Gnadenwirken des Heiligen Geistes an bestimmten Gaben der Schöpfung (Wasser, Öl, Wein, Brot etc.) die unsichtbare Wirklichkeit Gottes (also das Wirken der ungeschaffenen Gnade Gottes an uns)  vergegenwärtigt wird, so dass wir im Empfang des jeweiligen Mysterions an dieser Gnade teilhaben und dadurch in eine lebendige Ikone der menschlichen Natur Christi verwandelt und damit vergöttlicht werden können.

 

 

Im hl. Evangelium finden wir verschiedene Berichte, in denen diese sakramentale Wirklichkeit Christi für uns deutlich wird. In Lukas 5: 17 heißt es: „Eines Tages, als Jesus wieder lehrte, saßen unter den Zuhörern auch Pharisäer und Gesetzeslehrer; sie waren aus allen Dörfern Galiläas und Judäas und aus Jerusalem gekommen. Und die Kraft des Herrn drängte ihn dazu, zu heilen“. Und in Lukas 6: 19: „Alle Leute versuchten, ihn zu berühren; denn es ging eine Kraft von Ihm aus, die alle heilte“. Sowie in Lukas 8: 46 „Jesus erwiderte: Es hat mich jemand berührt; denn ich fühlte, wie eine Kraft von mir ausströmte“.

 

 

Der hl. Apostel und Evangelist Lukas, der übrigen von Beruf Arzt war und deshalb eine medizinisch-therapeutische Terminologie wählte, um uns das von ihm Berichtete zu verdeutlichen, will uns bewusst machen, dass in der Person Jesu Christi der menschgewordene Sohn Gottes und damit die Quelle und Ursache unseres Heiles. Als der menschgewordene Gott ist es die Person Christi, die das Heil für uns überhaupt erst bewirkt.

 

 

 

Der hl. Lukas ist ebenfalls der Verfasser der Apostelgeschichte. Dort lässt er uns dann weiter erkennen, dass es nach der Himmelfahrt des Herrn Sein mystischer Leib auf Erden, also die hl. Kirche, ist, die den Menschen dieses von Christus gewirkte Heil fortwährend weiter austeilt.

 

 

 

Im Leben des mystischen Leibes Christi auf Erden, der hl. Kirche, in ihren Mysteria - vor allem der hl. Eucharistie - vergegenwärtigt sich fortwährend unser Herr und Erlöser Jesus Christus und das von Ihm gewirkte Heil bis zum Ende der Zeiten, wenn der Herr Wiederkommen wird.

 

 

Mit dem Anbruch des Eschaton wird auch die Feier der christlichen Mysteria enden, denn beim Hochzeitsmahl des Lammes im himmlischen Jerusalem ist Gottes Gegenwart stets und unmittelbar gegenwärtig und unsere beglückende Teilhabe an ihr andauernd und ohne Ende.

 

 

Der hl. Apostel und Evangelist Lukas gibt uns somit den geistlichen Schlüssel an die Hand, um die Göttlichen Mysteria in der ganzen Tiefe, dem menschlichen Verstehenwollen am Ende aber immer entzogen, Wahrheit zu begreifen. Dieses „begreifen“ kann aber wegen der Verborgenheit und Tiefe des göttlichen Geheimnisses, dass uns in den hl. Mysteria aufscheint, niemals ein vollständiges Verstehen, sondern immer nur ein von Ehrfurcht getragenes Mitfeiern und Miterleben sein.

 

 

In den göttlichen Mysteria ist immer der Herr selbst als unser Hohepriester am Werk. Er persönlich ist es auch, der sich durch die Feier der hl. Mysteria für die Gläubigen, die dann auch die hl. Mysteria in Ehrfurcht und Glauben empfangen, gegenwärtig macht. Die Sakramente haben das Ziel, die schöpfungsgemäße Heilsordnung in Jesus Christus wiedervorzustellen.

 

 

Die göttlichen Mysteria vergegenwärtigen bestimmte Heilsereignisse im Leben Jesu Christi wie: Das letzte Abendmahl, als der Herr die Sünden vergeben hat, als der Herr Kranke heilte, als der Herr den Heiligen Geist auf Seine hl. Apostel gehaucht hat usw. Deshalb ist die Feier aller hl. Mysteria niemals nur bloße Erinnerung (Anamnese), sondern reales Anbrechen des Heiles Christi in unserem Leben, in unserer gegenwärtigen Lebenszeit.

 

 

Die hl. Mysteria, die Christus selbst stiftete und der Feier Er selbst eingesetzt hat, sind die wirkmächtigen Instrumente und Werkzeuge, durch welche unser Herr und Erlöser Jesus Christus durch die Fortsetzung Seines Heilshandeln an allen Menschen vermittels der hl. Kirche, alle Menschen zu allen Zeiten erreichen und sie zu erretten. Durch das sakramentale Handeln Christi in Seiner hl. Kirche wird es den Menschen in aller Welt und zu allen Zeiten möglich, das Heil zu empfangen.

 

Hier noch eine kurze Erklärung zu den Begriffen orthodoxen Begriff „Mysterion“ und dem von der abendländischen Tradition verwendeten „Sakrament“: Das Wort Sakrament stammt aus dem frühmittelalterlichen Kirchenlatein. Es bedeutet Heilszeichen, Heilsmittel oder auch Heilsweg.

 

 

Bereits bei Tertullian (im 2. Jahrhundert) und dann seinem Beispiel folgend, finden wir diesen Begriff als Äquivalent in den lateinischen christlichen Schriften zu dem von den griechischen Vätern benutzten Begriffes „μυστήριον“ (Mysterion), das „Geheimnis“ bedeutet.

 

 

In der Urkirche aber - und bis zum dritten Jahrhundert auch im lateinisch sprachigen Westen - sprach man nicht über „Sakramente“, sondern verwendete den passenderen Begriff „Mysteria“ (Geheimnisse), weil schon damals der hl. Kirche bewusst war, dass die göttlichen Mysteria ihre Wirkkraft aus den heilbringenden Worten und Taten Jesu Christi erhielten, deren Heilswirkung sie sakramental in der hl. Kirche vergegenwärtigten. So sagt der hl. Leo der Große, ein Erzbischof (Papst) von Altrom (* um 400 † 10. November 461): „Was an unserem Erlöser sichtbar war, ist in Seine Mysteria übergangen“.

 

 

Die hl. Kirche bringt nicht nur, vereint durch Christus, ihrem Hohepriester, das eucharistische Opfer dar, sondern sie wird während der Feier der Göttlichen Liturgie auch selbst durch das hohepriesterliche Wirken Christi Gott dem Vater als Lobopfer dargebracht.

 

 

Der hl. Gregor Dialogos sagt, dass die Liturgiefeier für die Gläubigen ein Ansporn zur Nachahmung des vom Herrn gegebenen Beispiels ist, „… damit wir unser Leben dem Vater aufopfern, wie das Jesus getan hat. So kommt die vom Kreuz des Herrn ausgehende Erlösung auch auf uns: Es ist aber notwendig, dass wir während dieser heiligen Handlung uns selbst Gott opfern (wörtlich sogar: „schlachten“) in Zerknirschung des Herzens; denn wenn wir das Geheimnis des Leidens des Herrn feiern, müssen wir nachahmen, was wir begehen. Dann wird das heilige Opfer, das wir Gott darbringen, wirklich zum Opfer für uns, wenn wir uns selbst zu einem Opfer machen“ (Hl. Gregor Dialogos, Dialoge, 4, LIX).

 

 

Der hl. Apostel Paulus gebraucht für die Wesensbeschreibung der Kirche das geistliche Bild des Leibes, weil das Leben der Kirche aus einer, durch den Heiligen Geist gewirkten, organischen Verbindung von Teilen erwächst und mit verschiedenen, auf einander abgestimmten Charismen versehen ist. So sagt der hl. Apostel:  „Gleichwie … wir an dem einen Leib viele Glieder haben, aber alle Glieder den gleichen Dienst verrichten, so sind wir viele ein Leib in Christus, die einzelnen aber untereinander Glieder” (Römer 12:4). Auch in der hl. Kirche leben die einzelnen Glieder (die Gläubigen) nicht vereinzelt für sich, sondern sie dienen einander und unterstützen sich auf dem Weg hin zur Vergöttlichung (Theosis). Aus diesem Grund gehört der organische- hierarchische, der nach Charismen und Diensten gegliederte Aufbau des Gottesvolkes zum Wesen der Kirche. Und die hl. Kirche ist wiederum als der mystische Leib Christi auf Erden (vgl.: (Kolosser 1:18, Römer 12:5) und die Braut Christi untrennbar mit ihrem Haupt und ihrem Bräutigam Christus verbunden (Epheser 5:25-27, (Apokalypse 21:2).

 

 

 

Die hl. Eucharistie schenkt uns die Gemeinschaft mit Jesus Christus und die gnadenhafte Teilnahme am ewigen Leben. Auf einer berühmten Ikone, die der hl. Andrej Rubljow im 15. Jahrhundert für die Sergius-Dreieinheits-Lawra geschrieben hat, befindet sich im Mittelpunkt von hl. drei Engeln (eine alttestamentliche Ikone der allheiligen Dreieinheit) der Altar mit dem Kelch, in dem sich die hl. Eucharistie befindet. Anhand dieser Ikone wird deutlich, dass die hl. Eucharistie sowohl für das Leben der Kirche als auch für die Vollendung des Menschen, ja des gesamten Kosmos, eine zentrale eschatologische Rolle spielt.

 

 

Der Mensch ist nach dem Bild und Gleichnis Gottes erschaffen worden (vgl. Genesis 1:26-27).  Das "Ebenbild" oder das "Bildnis" Gottes zu sein bedeutet, vereinfacht ausgedrückt, dass wir erschaffen wurden, um in Gemeinschaft und Liebe mit der Allheiligen Dreieinheit zu kommunizieren. Diesen Zustand nennen die hl. Väter die „Theosis“. Der Weg zur Theosis, der Weg zur gnadenhaften Vollendung unserer menschlichen Existenz, führt über unsere Teilhabe an der Hl. Eucharistie. Denn vergöttlicht zu werden bedeutet, dass wir durch die Gnade Gottes und das Wirken des Heiligen Geistes in und an uns verwandelt werden hin zu der nach Gottes Schöpferabsicht gnadenhaft vollendeten Person.

 

 

Gemäß der orthodoxen Soteriologie (Heilslehre) wurde der Sohn Gottes Mensch, damit der Mensch den Heiligen Geist Gottes empfange und dadurch eingehe in die Herrlichkeit des Vaters (so der hl. Irenäus von Lyon).

 

 

Gott der Vater erschafft die Welt durch den Sohn im Heiligen Geist, so dass das Ziel der Welt, die Theosis, die Vergöttlichung und Heiligung ist, also die Aufnahme der gesamten Schöpfung, des ganzen belebten und unbelebten Kosmos, in die trinitarische Gemeinschaft. Dem Menschen kommt hierbei nicht eine herrschend-zerstörerische (wie nach dem Sündenfall), sondern vielmehr eine eucharistisch-darbringende Existenzweise zu. Der Mensch ist von Gott erschaffenen worden als Liturg der Danksagung (das griechische Wort Eucharistie (ἐυχαριστία) bedeutet Danksagung) für die Erschaffung des gesamten Kosmos und für alle weiteren Heilstaten, die Gott in Seiner Gnade gewirkt hat. Insofern wurde der Mensch zu einer eucharistisch-liturgischen Existenzweise erschaffen, der in Liebe und Dankbarkeit Gott preist für Sein gesamtes Schöpfungshandeln. Deshalb sieht die orthodoxe Anthropologie, den Menschen vor allem als ein liturgisches und dialogisches Wesen, der sich selbst am meisten verwirklicht, wenn er Gott verherrlicht.

 

 

Aber durch die Sünde verlor der Mensch diese positive Orientierung seiner Existenz, die Gemeinschaft mit Gott und gelangt in die Finsternis der Einsamkeit und des Todes. Durch die Sünde verneint der Mensch seine eigene eucharistisch-gemeinschaftliche Natur (Genesis 2: 18). Gott erschuf den Menschen nicht für die Einsamkeit, sondern für die Teilhabe an der Freude der Gemeinschaft, an der Fülle der Existenz, d.h. an der innertrinitarischen Gemeinschaft.

 

 

Der Mensch ist so veranlagt, also von Gott so geschaffen worden, dass er sich in seinem Innersten, in seinem Herzen, danach sehnt, vergöttlicht, also erlöst und geläutert zu werden und sein ganzes Leben mit allem was es einschließt, Gott zu übergeben, damit es Gott ihm wiederum erlöst und vergöttlicht zurück gibt.

 

 

 

Der moderne Mensch wurde durch die Dominanz innerweltlicher Philosophien und diesseitsorientierte Ideologien allmählich dazu verleitet, diese Wahrheit fast vollkommen zu vergessen. Die Moderne hat das religiöse Bewusstsein, aber auch das Gewissen der Menschen fast ganz betäubt und verdrängt. Der moderne Mensch ist so unfähig geworden, das ihm schöpfungsgemäß eingestiftete Verlangen nach Gemeinschaft mit Gott wahrzunehmen, obwohl es immer noch da ist. Wir leben in einer Zeit, wo den meisten Menschen die menschliche Tugend abhandengekommen ist, eine Tugend, die dem Geschöpf das geeignete Verhalten dem Schöpfer gegenüber erzeugt. Diese Tugend bewirkt in uns auch das Bewusstsein und das Bedürfnis, Gott als unserem Herrn und Schöpfer die Verehrung, Anbetung und den schuldigen Gehorsam zu geben, der Ihm gebührt. Ich bin der tiefsten Überzeugung, dass das besondere Charisma der orthodoxen Christen in unserer Zeit gerade im unverfälschten und unverkürzten Zeugnis (martyria) des orthodoxen Glaubens  liegt, dass eine gottvergessene Welt wieder zu sich selbst zurück, also wieder zu Gott als ihrem Herrn und Schöpfer zu führen vermag (so auch der hl. Justin Popovic).

 

 

 

Was hat nun die Feier der hl. Eucharistie mit dem bisher Gesagten zu tun? Die hl. Eucharistie ist das zentrale Mysterion (Sakrament) der hl. Kirche, weil sie einerseits in der liturgischen Gemeinschaft der Kirche (Synaxis) stattfindet und zugleich unsere Gemeinschaft mit Gott und untereinander stiftet.

 

 

Wir können sagen, dass in der Feier der Göttlichen Liturgie der mystische Leib Christi in umfassender Dimension sichtbar und erfahrbar wird. In der Göttlichen Liturgie handelt Christus der Hohepriester, das Haupt der Kirche, selbst und der Leib, das ist die himmlische und die irdische Kirche, mit und durch Ihn. Liturgiefeiern ist ein liturgisch-sakramentales Teilnehmen am Gebet unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus, der uns durch Sein Gebet zum Vater, das Heil vermittelt.

 

Die Feier der Göttlichen Liturgie, die im Himmel und auf Erden zugleich vollzogen wird, ist deshalb bereits schon eine liturgisch-sakramentale Vergegenwärtigung der himmlischen Wirklichkeit und des kommenden Friedensreiches Christi im Eschaton. Unsere Eingliederung in den Erlösungsprozess, unser Leben in Christus (siehe hl. Nikolaos Kabasilas), hat im orthodoxen Verständnis einen grundsätzlich mystisch-sakramentalen Charakter. Dieses Leben in Christus beginnt mit unserer Taufe. Es entfaltet und vertieft sich in der gemeinsamen Feier der Göttlichen Liturgie und unserer Teilhabe an der hl. Eucharistie (hl. Kommunion). Die hl. Taufe überkleidet uns mit Christi vollkommener vergöttlichter und zur rechten Gottes des Vaters erhöhten menschlicher Natur und die Teilhabe an der hl. Eucharistie (hl. Kommunion) verbindet dann uns mehr und mehr mit dem erhöhten Christus und befähigt uns so immer tiefer hineinzuwachsen in die Gnadengemeinschaft mit der Allheiligen Dreieinheit (Theosis).

 

 

 

In diesem Sinn wird uns klar, dass die Feier der Göttlichen Liturgie Höhepunkt und Quelle allen Handelns in der hl. Kirche ist. Hier wird unser innerer Mensch in der großen Liebe, mit der der Vater uns in seinem geliebten Sohn geliebt hat, verwurzelt und gegründet. Hier werden wir in der Liebe festgesetzt und erneuert.

 

So ist die hl. Eucharistie, genauso wie die hl. Kirche, eine Frucht des Pfingstgeschehens. Denn weder die hl. Kirche noch die hl. Mysteria der Kirche entstehen und bestehen ohne die wunderbare Herabkunft und das Wirken des Heiligen Geistes als dem Geist der Liebe und der Gemeinschaft (Koinonia, κοινωνία). Weitere Gnadengaben, die das Wirken des hl. Geistes in der hl. Kirche wachsen und erblühen lässt, sind die Verkündigung (Martyria), die Liturgie (Liturgia) und der Dienst am Nächsten (Diakonia) aus der Nächstenliebe (Agapē). Durch Sie werden wir zu lebendigen Ikonen Christi, die aus dem hl. Evangelium Christi (Ikone des Gotteswortes) und in der Verwirklichung Seiner Gebote leben.

 

 

 

Wir dürfen deshalb nicht vergessen, dass genauso wie es unser orthodoxes Gebets- und Glaubensleben sowohl als unsere persönliche Vorbereitung auf die Liturgiefeier bedarf, es auch eine „Liturgie nach der Liturgie“ (so der Ausdruck des rumänischen Theologien Ion Bria) gibt. Sie umfasst wiederum unser ganzes Tun und Sein als orthodoxe Christen: gelebtes Glaubenszeugnis (wie die Evangelisation ein Teil der Martyria, des Zeugnisses der hl. Kirche, Bekehrung, Nächstenliebe usw.

 

 

 

Sinn und Zweck unserer Teilnahme an der Feier der Göttlichen Liturgie ist es gerade, dass wir in unserem Leben als orthodoxe Christen die würdigen Früchte unserer uns dort geschenkten Christuserfahrung bringen, dass an uns das neue Leben im Heiligen Geist sichtbar wird durch unseren tätigen Einsatz für die Sendung der Kirche und den Dienst der hl. Kirche in der Welt. Mit anderen Worten: Die Teilnahme an der Göttlichen Liturgie wird von unserem christlichen Streben nähren und mehr und mehr reinigen und vervollkommnen.

 

 

Die fortschreitende Verchristlichung der Welt, also der Gesellschaft in der und mit der wir leben, ist übrigens die besondere Aufgabe der Laien im Volk Gottes. Die Bischöfe und Priester dienen dem Glauben des Volkes Gottes (der Kirche), die Laien der gesamten Welt, damit die Menschen dort zum Glauben kommen. Eine vom christlichen Glauben geprägte Politik, das Streben nach soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft, der Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung etc. sind der spezielle Wirkungsbereich, das besondere Charisma der Laien. Denn das Wesen der Feier der Göttlichen Liturgie ist es, den gesamten Kosmos zu heiligen, das Wirken Gottes wieder transparent werden zu lassen inmitten einer gefallenen Welt und diese dadurch erneut mehr und mehr zu verchristlichen. In der Feier der Göttlichen Liturgie und im Empfang der hl. Kommunion durften wir Gläubige bereits das heilsame und heilswirkende Handeln Gottes an durch Christus Jesus im Heiligen Geist erfahren.

 

 

 

Durch Seine Menschwerdung, Leiden, Tod und Auferstehung, entfernt Jesus Christus diese zwei Mauern. Die erste Bewegung, von unten nach oben, wird wieder hergestellt, dem Menschen wird durch seine Leiden, Tod und Auferstehung, die Sünde und das Erbe der Sünde weggeschaffen und dementsprechend die Unfähigkeit sich an Gott zu wenden. Durch seine Menschwerdung überhaupt macht er die zweite Bewegung möglich, die von oben nach unten geht, durch seine Menschwerdung hat nämlich die Menschheit Zugang zum Wesen Gottes, und Gott hat wie noch nie Zugang im Menschen, so dass er für seine Erlösung und vollkommene Heiligung wirken kann.

 

 

 

In dieser Erfahrung des Heilswirken Gottes an uns vermittels der hl. Eucharistie sind wir Gläubige zu einer würdigen Antwort darauf in Lobpreis, Gebet, Dank und Bitte, aber auch zum Dienst am Nächsten (Diakonia) aus der Nächstenliebe (Agapē) heraus aufgerufen. So ist der besondere Auftrag der orthodoxen Laien, ihr besonderes kirchliches Charisma zu verstehen.

 

 

 

Die hl. Eucharistie ist die Offenbarung der hl. Kirche an sich; sie ist Verwirklichung und Manifestation des mystischen Leib Christi und damit der hl. Kirche selbst. Das Wesen der hl. Kirche wird von der Feier der hl. Eucharistie her bestimmt und nicht umgekehrt.

 

Die eucharistische Versammlung wird zu dem liturgischen Ort, wo die Christgläubigen durch ihre Teilhabe am hl. Mysterion in Glieder am Leibe Christi umgewandelt werden. Der hl. Apostels Paulus sagt darüber: „Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot“ (1. Korinther 10:17).

 

 

Der hl. Augustinus führt in einer Predigt darüber weiterhin aus: „ … Ihr müsst euch das so vorstellen: Einst, vor eurer Bekehrung zum Christentum, wart ihr ungläubige Heiden, vereinzelt und verstreut wie die Weizenkörner. Als ihr Katechumenen und Taufbewerber wurdet, wurdet ihr durch Unterricht und Belehrungen, durch Gebete und Exorzismen sozusagen gemahlen. Aus Körnern wurde Mehl. Dann kamt ihr zur Taufe und Wasser wurde über euch ausgegossen. Das Mehl wurde zum Teig. In der Firmung schließlich kam das Feuer des Heiligen Geistes über euch, und aus dem Teig wurde Brot. Die Sakramente der Kirche haben euch zu einem einzigen Brot gemacht, wie der Apostel Paulus sagt. Und diese Einheit der Kirche wird im Brot der Eucharistie jeden Sonntag neu dargestellt, neu hergestellt.“ Und dann sagte der hl. Augustinus abschließend, indem er das auf dem Altar liegende Brot nimmt, hochhebt und zur versammelten Gemeinde sagt: „Seid, was ihr seht, und empfangt, was ihr seid!“ (Augustinus; Sermo 272).

 

 

 

Aus dem bisher Gesagten sollte klar geworden sein, dass die hl. Kirche wesensmäßig durch die Mysteria (Sakramente) konstituiert wird. Bei den Gruppen der Häretikern und Schismatiker, die sich außerhalb der Kirche befinden, kann deshalb auch keine Sakramente geben (vgl. Hl. Cyprian von Karthago). Das Heil kann nicht losgelöst von der hl. Kirche gefunden werden. Die hl. Kirche spricht mit diesem Satz des hl. Cyprian: „Extra ecclesiam nulla salus“ aber niemandem das Heil ab: Sie bestimmt also nicht, wer gerettet werden kann und wer nicht. Das liegt allein bei Gott.

 


 

Aber die orthodoxe Kirche sagt sehr wohl, wodurch man gerettet wird, nämlich durch die Wahrheit und Gnade, die in der orthodoxen Kirche als Arche des Heiles durch die Zeiten getragen werden. Und nur in der orthodoxen Kirche sind die Mittel des Heiles, die Mysteria Gottes, in voller Intensität erhalten. Zugleich aber bekennt die orthodoxe Kirche (in ihrer Mehrheit) auf Grund ihrer eucharistischen Ekklesiologie auch, dass dort wo es Mysteria (Sakramente) gibt, es auch die Kirche gibt. Diese Tatsache bildet dann wiederum die Basis für das ökumenische Miteinander mit unseren nicht-orthodoxen Mitchristen, das aber niemals auf Kosten der Wahrheit gehen kann, da es wiederum keine kirchliche Einheit ohne die Wahrheit geben kann.

 

Die Orthodoxie, die Einheit im rechten Glauben, wird durch die Einheit im Heiligen Geistes, durch das Gebet und hier vor allem in der Feier der Göttlichen Liturgie erfahren.

 

 

In der Göttlichen Liturgie werden von den Gläubigen alle Heilstaten Gottes erneut erfahren, verkündigt und gefeiert. Ort dieser rechtgläubigen Glaubenserfahrung ist deshalb vor allem die Feier der Göttlichen Liturgie. Die Feier der Göttlichen Liturgie offenbart uns liturgisch das Kommen des Herrn in all Seinen Heilstaten.

 

 

 

Die Feier der Göttlichen Liturgie verkündet und vergegenwärtigt uns die gesamte Heilsgeschichte, inklusive der kommenden, eschatologischen Realität des himmlischen Jerusalems. Sie ist deshalb bereits gläubige Erfahrung der kommenden Herrlichkeit des wiederkommenden Herrn inmitten einer gefallenen Welt.

 

 

In der Feier der Göttlichen Liturgie erfahren wir bereits, dass die Gegenwart des Heiles für uns angebrochen ist. Wir treten ein in den immerwährenden Gottesdienst des Himmels mit allen Engel und Heiligen Gottes. Die Liturgie teilt uns bereits hier auf Erden einen Vorgeschmack des Himmelreiches mit.

 

 

Das Heilshandeln des dreieinigen Gottes in und während der Feier der Göttlichen Liturgie macht diesen kirchlichen Gottesdienst zur Göttlichen Liturgie. Die Anrufung im Eucharistischen Gebet richtet sich an Gott, den Vater. Die Einsetzungsworte für das heilige Abendmahl sind ein Teil dieses großen Dankgebetes, in dem Gott für die Sendung Seines Sohnes gedankt wird, der „in der Nacht, in der Er überliefert wurde", die hl. Eucharistie, das Mysterion des Neuen Bundes, eingesetzt hat. Das eucharistische Gebet der Danksagung für die Heilstaten Gottes geht dann über in die „Epiklese“, die gebetete Bitte um das Herabkommen des Heiligen Geistes auf die vorgelegten Gaben von Brot und Wein und ebenfalls auf das gesamte, zur Feier der Liturgie versammelte Volk Gottes.

 

 

 

Das gesamte Heilswerk Jesu Christi wird in der Anaphora, dem Gebet der Darbringung und Opferung mit den Einsetzungsworten und in der epikletischen Bitte um den Heiligen Geist liturgisch gegenwärtig.

 

 

Bei dieser liturgischen Vergegenwärtigung des Heils beachtet das eucharistische Gebet und die Anaphora den Ablauf des Heilsgeschehens in seiner zeitlichen Abfolge. Zuerst wird um das Heilswerk des Vaters (angefangen mit der Schöpfung), dann um das Heilswerk des Sohnes, Sein Kommen, die Einsetzung der hl. Eucharistie, die Kreuzigung, das Grab, die Auferstehung, die Himmelfahrt bis hin zu Seiner Wiederkunft (in der Anamnese) und schließlich um das Heilswerk des Heiligen Geistes an den vorgelegten Gaben und an der gesamten Kirche gebetet.

 

Diese Reihenfolge ist deshalb wichtig, weil sie den Heilsplan Gottes mit der Menschheit nicht nur widerspiegelt, sondern in der Feier der Göttlichen Liturgie, vor allem aber in der hl. Eucharistie und unserer Kommunion an den Heiligen Gaben gegenwärtig setzt. Es ist wichtig, dass wir uns, gerade angesichts der Diesseitsorientierung unserer Zeit, immer wieder vor Augen führen, dass die Göttliche Liturgie gerade eben nicht nur ein bloßes Symbol, ein bloßes Erinnern an die einst Geschehenes, sondern dass in der Feier der Göttlichen Liturgie alle Heiltaten Gottes liturgisch wieder ins Heute eintreten. Dadurch werden alle Heilstaten für uns transparent und gegenwärtig. Immer wieder gemahnen uns deshalb die liturgischen Texte: Heute ist der Anbeginn unserer Errettung, heute steigt in die Wasser der Jordan, heute hängt am Kreuz, heute erstand glorreich aus dem Grabe etc.

 

 

So wie unser Herr und Erlöser Jesus Christus die hl. Aposteln beruft (in Matthäus 16: 18 Petrus und in Matthäus 18: 18 alle zwölf Apostel), sie aber erst durch die Ausgießung der Heiligen Geistes an Pfingsten mit der sakramentalen Vollmacht zur Ausübung des ihnen anvertrauten Apostelamtes ausrüstet hat, so werden auch im Verlauf der Feier der hl. Eucharistie die Einsetzungsworte erst dadurch wirksam, dass auf sie (im Gebet der Epiklese) der Heilige Geist herabgerufen wird. Denn es ist ja der Heilige Geist, der das Heilswerk Jesu Christi für uns gegenwärtig setzt. So ist die Feier der Göttlichen Liturgie, die Feier der hl. Eucharistie und unsere Teilhabe an der heiligen Gaben wiederum unsere gnadengewirkte Teilhabe am göttlichen Heilswerk, die in uns die Teilhabe an der Theosis als einer gnadengewirkten Teilhabe am Leben des dreieinen Gottes bewirkt.

 

 

 

Im Empfang der hl. Kommunion erfüllt Christus alle mit Sich: das konsekrierte, heilige Brot und der konsekrierte, heilige Wein werden uns tatsächlich zum wahren Leib und kostbaren Blut Christi. Aber wir sehen sie nicht brennend und leuchtend in der göttlichen Teilhabe. Zwar empfangen wir die heiligen Geheimnisse, und in uns wird für einen Augenblick das ungeschaffene Licht der göttlicher Gegenwart entfacht, aber trübe, sacht, und auch nicht für lange. Wir leben einerseits von jener Fülle, die uns gegeben wird – aber wegen unserer geistlichen Schwachheit nicht nach Maß (vgl. Johannes 3: 34), sondern wir empfangen die Gemeinschaft mit Gott im Empfang der hl. Kommunion nach dem Maße unserer jeweiligen geistliche Kräfte (vgl.: Metropolit Antonij von Suros; Die Göttliche Liturgie: Vergegenwärtigung von Opfer, Kreuz und Heil).

 

 

Deshalb müssen wir die hl. Kommunion auch so oft wie möglich und durch ein sich immer mehr vertiefendes geistliches Leben so gut wie möglich vorbereitet empfangen.

 

 

Ein weiterer wichtiger Aspekt der heiligen Eucharistie, die wir in der Kirche feiern, ist, dass sie zugleich auch ein Bild (Ikone) der wahren Eucharistie im kommenden Reich Christi ist. Die mystische Wahrheit dessen, was wir in der eucharistischen Versammlung der Göttlichen Liturgie feiern, ist unsere vollkommene und alles erfüllende Kommunion mit Gott, die sich am Ende der Zeiten im kommenden Eschaton erfüllen und verwirklichen wird. Es geht beim Mysterion der hl. Eucharistie eben gerade nicht um unsere Ideen, sondern um unsere vollkommene Kommunion mit der alles vorstellbare übersteigenden Realität des Kommenden, des künftigen Reiches Christi. Das kommende Reich Christi ist der tiefste Grund der hl. Eucharistie und gibt ihr ihr wahres Sein (vgl.: Hl. Maximus Confessor, Scholia).

 

 

 

Als Zusammenfassung dieses kurzen Überblickes über Entstehung und die geistliche Bedeutung der Göttlichen Liturgie gibt es meiner Ansicht nach keine besseren Worte als die unseres großen Vaters unter den Heiligen Basilius des Großen in seinem Gebet nach der hl. Kommunion: „Erfüllt und vollbracht ist, soweit es in unserer Macht steht, Christus, unser Gott, das Mysterion Deiner Heilsordnung. Denn wir haben das Gedächtnis Deines Todes begangen und das Bild Deiner Auferstehung geschaut; wir wurden erfüllt mit Deinem nie endenden Leben; wir haben Deine unerschöpfliche Wonne genossen, deren Du uns alle auch in der künftigen Welt würdigen mögest, durch die Gnade Deines anfanglosen Vaters und Deines heiligen, guten und lebensschaffenden Geistes, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

 

 

 

Wenn wir alle Geheimnisse des christlichen Glaubens, alle Geheimnisse des Neuen Testamentes, alle Geheimnisse der Kirche auf ein Geheimnis zusammenführen wollten, dann ist dieses Geheimnis das heilige Mysterion der hl. Eucharistie – die Göttliche Liturgie der orthodoxen Kirche, denn die Feier der Göttlichen Liturgie ist: Die Kirche Gottes mit Christus und in Christus und Christus unter uns und in uns (aus: Hl. Justin Popovic; Über die Liturgie).

 

Priester Thomas Zmija

 

 

Gedanken über das Gebet

 

Die orthodoxe Kirche ist vor allem eine betende Kirche, weil sie glaubt, dass sich die erlösende Gnade, die der Welt durch das Kreuzesopfer und die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus geschenkt worden ist, der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen wie auch jedem in die Kirche eingegliederten Gläubigen vor allem durch das Gebet mitteilt wird.

 

Das Gebet ist deshalb das Wichtigste im Leben eines Christen. Nach orthodoxem Verständnis ist das Gebet die wesensmäßig christliche Lebenshaltung, also die eigentliche Daseinsform eines Christen. Das Gebet ist das intimste Handeln des gläubigen Menschen und auch ein besonders verlässlicher Gradmesser für den Zustand seines geistlichen Lebens. Im Gebet ereignet sich unser Aufstieg in die Gegenwart Gottes. Dort tritt unser Geist ein in das vertraute Gespräch mit Gott.

 

In der Heiligen Schrift wird an vielen Stellen von der Begegnung des Menschen mit Gott gesprochen: „Und der Herr redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht“ (2. Mose 33:11). Können wir Gott begegnen von Angesicht zu Angesicht? Ja - so lehrt es uns unsere Orthodoxe Kirche, das können wir! Wir können zu Ihm aufsteigen. Wir sind dazu berufen in Gemeinschaft mit Ihm zu leben. Der Aufstieg von der Erde zum Himmel in die Gegenwart Gottes ist aber ein lebenslanger Weg, der mit unserer hl. Taufe seinen Anfang genommen hat. Deshalb vergleichen die hl. Väter das Gebet auch mit der Himmelsleiter, die der hl. Vorvater Jakob schaute, denn es führt uns direkt hinauf zu Gottes Gegenwart.

 

Ich stehe deshalb mit ganzem Herzen zur Meinung: Das Gebet, also das Sein der Kinder Gottes in der Gegenwart unseres himmlischen Vaters, ist eine der schönsten Gnadengaben Gottes! Im Gebet nehmen wir bereits schon heute, zusammen mit den Engeln und Heiligen, am himmlischen Leben teil. Das ist eine unaussprechlich große Gnade, derer wir eigentlich nicht würdig sind, denn im Gebet dürfen wir vertrauensvoll mit Gott sprechen.

 

Der hl. Basilius der Große sagt uns in einer Homilie über das Gebet, dass die Gnade Gottes, die im Gebet an uns wirksam wird, Unerreichbares für uns erreichbar macht, nämlich die Vergöttlichung des Menschen.

 

Dabei gibt es übrigens eine sehr enge Verbindung zwischen dem regelmäßigen Empfang der hl. Kommunion und einer dauerhaften Entfaltung unseres Gebetslebens. Unser Gebet ist eine Frucht der hl. Kommunion, die uns zu einer engen Verbundenheit mit unserem Herrn Jesus Christus hinführt. Das Endziel unseres Betens ist es, dass wir durch das Wirken der Göttlichen Gnade in uns selbst ganz und gar zum Gebet werden. „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal. 2:20), mit diesen Worten des hl. Apostel Paulus lässt das letztendliche Ziel allen christlichen Betens treffend zusammenfassen. Der Sinn des christlichen Lebens auf Erden ist unsere gnadenhafte Vereinigung mit Gott, die die hl. Väter die Vergöttlichung (Theosis) nennen. Dass Gebet und der Empfang der hl. Sakramente sind unsere Mittel, um an das geistliche Ziel unseres Lebensweges zu gelangen.

 

Das Gebet der orthodoxen Kirche ist geformt und inspiriert durch die Göttlichen Worte der Heiligen Schrift. Deshalb ist die Anrufung Gottes in unseren Gebeten immer zugleich auch Verkündigung und Vergegenwärtigung Seiner Heilstaten und Seiner Göttlichen Herrlichkeit.

 

Die Orthodoxe Kirche ist die Gemeinschaft im wahren Glauben, die sich im wahren Lobpreis Gottes, im Gebet mit allen Engeln und Heiligen Gottes, ausdrückt. In diesem Sinne ist das orthodoxe Gebet zeitlos, denn es schenkt uns bereits hier auf Erden ist einen Vorgeschmack auf die kommende Herrlichkeit.

 

Da die verschiedenen Gebete und geistlichen Gesänge fast vollständig aus Zitaten der Heiligen Schrift bestehen, werden wir bald die geistliche Erfahrung machen dürfen, wie wir durch das Gebet mit diesen Gottesworten geistlich genährt und gestärkt werden. Wir werden dort jenen kostbaren geistlichen Schatz, jene „Perle in Acker“, von der der Herr in Seinem Evangelium (vgl.: Matthäus 13: 44-46) gesprochen hat, finden.

 

Der Herzschlag unserer Kirche ist der orthodoxe (rechte) Glaube und der Blutkreislauf unserer Kirche wiederum ist das orthodoxe Gebet. Aber dauerhaft in diesem Geist des Gebetes zu stehen ist in der heutigen Zeit bisweilen schwierig. Der rumänische Metropolit Serafim Joantă sagt zu diesem Problem: „Heute wird der Geist der Welt in die Kirche hingetragen, statt der Geist Christi in die Welt“. Auch wir orthodoxen Christen stehen heutzutage also in einer andauernden Zerreißprobe zwischen dem Ungeist einer gottvergessenen Umwelt und dem Geist des geistlichen Lebens und Gebetes unserer Orthodoxen Kirche.

 

Heutzutage ist das Gebet leider auch unter orthodoxen Christen keine Selbstverständlichkeit mehr. Das innere Leben der Kirche, das ein Leben im Gebet ist, ist auch bei uns Orthodoxen inzwischen zu einer, auch von vielen Gläubigen, vernachlässigten Lebensweise geworden.

 

Es ist aber wichtig zu verstehen, dass nicht zu beten Sünde ist, denn wir vernachlässigen dadurch das Gnadengeschenk der Begegnung mit Gott, der uns liebt, der uns retten möchte und in die heilstiftende Gemeinschaft mit sich selbst, die Vergöttlichung (Theosis) führen möchte.

 

Es geht bei unserer Erlösung um die Rückführung und Verwandlung unseres menschlichen Wesens aus der Gefangenschaft in der Sünde und geistlichen Verlorenheit. Nicht zu beten ist eine Sünde, weil nicht zu beten ein Werk des Teufels ist und den Menschen am Ende von Gott trennen wird. Hier ermahnt uns der hl. Apostel Petrus: „Brüder, seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann. Leistet ihm Widerstand in der Kraft des Glaubens!“ (1. Petr. 5:8).

 

Hierbei ist es aber wichtig zu verstehen, dass die Sünde nicht erstrangig ein Regelverstoß ist. Sünde ist eine Krankheit, die zuerst unsere Seele befällt und dann unser ganzes menschliches Wesen zu infizieren droht. Sünde ist alles, was uns die Liebe Gottes verneinen und ablehnen lässt. Sie führt uns in eine selbstsüchtige Verweigerungshaltung gegenüber Gott und unseren Mitmenschen. Deshalb wird die Sünde uns auch am Ende zuerst geistlich und dann auch körperlich töten. Der hl. Apostel Paulus ermahnt uns deshalb: „Der Tod ist der Sünde Sold; aber die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn“ (Röm. 6:23). Diese Leben in Christus beginnt bereits hier auf Erden und setzt sich dann in der Ewigkeit Gottes fort.

 

Deshalb möchte der Teufel auch nicht, dass wir ein Leben mit Gott führen und dass wir im Gebet in der Gegenwart unseres himmlischen Vaters sind. Das Gebet heilt unsere verwundete und geschundene Seele und nicht zu beten verletzt uns immer nur noch weiter. Insofern ist das Gebet eine Medizin, ein geistlicher Balsam, der unserem unsteten und verwundeten Herzen Ruhe schenken wird in der vertrauten Gemeinschaft mit Gott. Der hl. Apostel Paulus richtet deshalb auch an die Gläubigen in unserer Zeit seine tröstliche Aufforderung: „Betet ohne Unterlass“ (1. Thess. 5:17).

 

Aber oftmals beten wir nur noch, wenn wir in die Kirche gehen. Dies hat vielfältige Gründe. Ich denke, dass einer der wichtigsten Ablenkungen vom Gebet und einer der wichtigsten Hinderungsgründe dafür, dass unser Herz sich dem Gebet öffnen kann, liegt in der Tatsache begründet, dass wir in der Geschäftigkeit und Hektik unseres Alltags und durch die vielfältigen Ablenkungen in unserem Lebens nicht mehr zur Ruhe finden können. Die Ruhe aber ist, wie uns die hl. Väter lehren, eine der wichtigsten Voraussetzung für das Beten.

 

Das Gebet ist also nur vermeintlich erstrangig ein Tun, das wir vollbringen. Der hl. Apostel Paulus sagt uns: „Ebenso aber nimmt sich auch der (Heilige) Geist unserer Schwachheit an, denn wir wissen nicht, was wir bitten sollen und wie es sich gebührt. Der (Heilige) Geist aber verwendet sich für uns in unaussprechlichen Seufzern.“ (Röm.8:26). Es ist also das Wirken des Heiligen Geistes in unserem Herzen, das uns beten lässt.

 

Nun lehren die hl. Väter, dass das Wirken des Heilige Geist in uns eine sehr sensible Angelegenheit ist. Denn der Heilige Geist zieht sich sofort demütig in die Tiefen unseres Herzens zurück und verbirgt sich dort, wenn wir sündigen, wenn wir oberflächlich leben, wenn wir den weltlichen Dingen den Vorrang in unserem Leben einräumen und vor allem dann, wenn wir gleichgültig gegenüber den Nöten unserer Nächsten sind. Aber Er kehrt sofort zurück, wenn wir unser Herz auf Gott ausrichten und beten, wenn wir unsere Sünden erkennen und bereuen und uns darum bemühen, unser Leben ganz dem Vorbild Jesu Christi anzugleichen.

 

Die erste Voraussetzung für unser Gebet ist deshalb also eine demütige Haltung des Herzens. Wir treten vor Gott hin als Seine Kinder und in der freudigen Gewissheit, dass wir im Namen Jesu Christi von Ihm gehört und angenommen werden. Der hl. Apostel Petrus sagt uns dazu: „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Seine Gnade“ (1. Petr 5).

 

Wenn wir uns also mit unserem ganzen Leben und eben nicht nur in einigen religiösen Teilbereichen Christus anschließen, wie wir es im Gottesdienst der hl. Taufe selbst oder durch unseren Paten versprochen haben; wenn wir uns also Christus, dem vollkommen Demütigen die Herrschaft in unserem Leben übergeben, wenn wir unserer steinernes Herz von der Liebe Christi in ein lebendiges und demütiges Herz verwandeln lassen, dann wir der Heilige Geist, der durch die Taufgnade in unserem Herzen Wohnung genommen hat, durch das Gebet in uns zu sprechen beginnen.

 

Das wahre Gebet kommt also nicht allein von unseren Lippen, sondern es entspringt vielmehr aus unserem Herzen. Die Schule des Gebetes ist, wie uns die hl. Väter sagen, dass wir unter der Führung des Heiligen Geistes mehr und mehr erlernen, wie wir besser beten können. Es geht also darum, das Gebet zu unserer Herzensangelegenheit im Wortsinn werden zu lassen. Ein Gebet, das nicht nur unseren intellektuellen Verstand und unsere Lippen beansprucht, sondern auch unser Herz zum Klingen bringt.

 

Wir brauchen das Gebet, wie das Atmen selbst. Das Gebet schenkt uns den innerlichen Frieden, da es uns mit unserem geistlichen Verstand (die hl. Väter sprechen hier vom „Nous“) im Herzen verbindet.

 

Aber das Gebet bedarf der Einübung. Wir müssen uns immer wieder darum bemühen, im Gebet gesammelt und konzentriert zu bleiben, damit unser Geist sich nicht in der Zeit des Gebets zerstreut. Beim gesamten Prozess unserer Heiligung unterstreicht die orthodoxe Kirche die entscheiden wichtige Bedeutung der menschlichen Freiheit. Das Heil und die Gnade kommen allein von Gott. Aber Gott wirft uns Seine Gnade nicht einfach nach. Es bedarf also der Bereitschaft des Menschen zum Zusammenwirken mit Gottes Heilswillen. Die hl. Väter verwenden dafür den Begriff der Synergie.

 

Wegen der uns durch Gott geschenkten menschlichen Freiheit erneuert uns auch die Taufgnade nur in dem Maße, in dem wir an ihrem Wirken in uns durch Gebet und ein geistliches Leben teilhaben wollen. Denn in allem sind wir Gottes Mitarbeiter (vgl. 1. Kor. 3,9). Gott lädt uns zu einem Leben mit Ihm ein, aber Er respektiert auch jederzeit unsere menschliche Freiheit. Gott liebt uns und deshalb zwingt Er uns zu nichts.

 

Was bedeutet es nun für orthodoxe Christen, die in der Welt mit einer Familie und einem Beruf leben, wenn wir vom geistlichen Leben, also genauer von einem Leben des Gebetes sprechen? Für sie bedeutet eine angemessene Askese bereits jeden Tag Zeit zum Gebet zu finden, jeden Sonntag an der Göttlichen Liturgie teilzunehmen und die Fastenzeiten in einer für ihn angemessenen Form zu halten. Was beim Fasten das „rechte Maß“ ist, ist nicht für alle Menschen gleich. Deshalb ist es gut und wichtig, das rechte Maß für sich im vertrauensvollen Gespräch mit dem eigen geistlichen Vater (Beichtvater) zu finden. Die christliche Askese, also unser Bemühen um ein geistliches Leben, umfasst das Gebet, das (körperliche und geistige) Fasten und den Kampf gegen die Sünden und schlechten Gewohnheiten. Aber auch hier ist jede einseitige Übertreibung von Übel. Denn der Teufel versucht uns gerade im geistlichen Leben durch Übertreibungen buchstäblich aufs Glatteis zu führen. Er will, dass wir hochmütig werden, uns dann selbst überschätzen und am Ende scheitern. Die Praxis des Fastens soll uns zur Demut hinführen und rechtes Fasten bedarf vor allem der Demut angesichts der eigenen, oftmals begrenzten Möglichkeiten.

 

Diese Demut angesichts der eigenen, oftmals begrenzten Möglichkeiten ist übrigens auch gefragt, wenn es um den Umfang unserer Gebetsregel geht. Auch hier ist das beratende Gespräch mit unserem Beichtvater dringend notwendig, damit wir im Gebet wachsen können. Das Gebet ist etwas, was Zeit beansprucht, nicht nur wenn wir im Gebet stehen, sondern eben auch Zeit das Gebet zu lernen, also in das Gebetsleben hineinzuwachsen.

 

Wenn wir dann gesammelt im Herzen zu beten lernen, ergreift das Gebet am Ende auch unser ganzes Wesen und heiligt es durch und durch. Dann werden wir wahrhaftig die Freude des Gebets in unserem Herzen spüren, weil unser Herz die Mitte unseres menschlichen Wesens ist. Deshalb bittet Gott uns Menschen: „Gib mir, Sohn, dein Herz“ (SapSal. 23:26). So ist das Gebet das „Lebendige Wasser“, das Gott unserer nach Ihm dürstenden Seele zu trinken gibt.

 

Was sagen wir also über das Gebet? Der hl. Porphyrios von Kafsokalyvia formuliert es so: „Nun, das Gebet ist weder die Dauer, noch sind es die Vielzahl der Worte. Denken wir vielmehr daran, dass wir vor Gott, unserem liebenden Vater stehen, der unsere Erlösung will. Sprechen wir also ganz einfach mit Ihm“.

 

Priester Thomas Zmija

 

Die Bedeutung der orthodoxen Kirche für das Leben der Gläubigen

 

Der Begriff „Orthodox“ besteht aus zwei Wörtern: „orthos“ (wahr, richtig) und „doxa“. „Doxa“ bedeutet einerseits „Glauben, Treue, Lehre“ und andererseits „Lobpreis“ oder „Verherrlichung“.

 

 

Diese beiden Bedeutungsinhalte des Wortes „Orthodox“ sind eng miteinander verbunden. Denn die wahre Lehre über Gott beinhaltet den wahren Lobpreis Gottes.

 

Die Orthodoxen Kirche führt die Menschen zu Christus. Die hl. Väter sagen uns, dass die hl. Kirche als der Leib Christ ein göttlich-menschlicher Organismus ist, also zugleich eine unsichtbare und sichtbare Wirklichkeit besitzt.

 

 

Die zweite Person (Hypostase) der Allheiligen Dreieinheit - das Wort Gottes (Logos) - nahm zu unserem Heil unsere menschliche Natur an. Er vereinigte sie mit Seiner Göttlichen Natur in der Person des menschgewordenen Herrn und Erlösers Jesus Christus.

 

 

Die unsichtbare Dimension der Kirche bezieht sich auf die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch und hat als Vorbild die Gemeinschaft der drei Göttlichen Personen (Hypostasen) der Allheiligen Dreieinheit.

 

 

Mit der Erschaffung der hl. Engel wurde die himmlische Kirche konstituiert. Dieser Kirche wurde der Mensch hinzugefügt: „Ihr seid vielmehr zum Berg Zion hingetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung und zur Gemeinschaft der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind; zu Gott, dem Richter aller, zu den Geistern der schon vollendeten Gerechten“ (Hebräer 12: 22-23).

 

 

Durch den Sündenfall des Menschen zerbrach seine Gemeinschaft mit der himmlischen Kirche. Gott aber hat sein Geschöpf auch dann nicht verlassen, sondern Er hatte das Heil des Menschen schon von Ewigkeit vorherbestimmt.

 

Um die Rückkehr des Menschen in die Gemeinschaft mit Ihm vorzubereiten, erwählte Gott das Volk Israel, das das Urbild des neuen Israel, das ist die hl. Kirche (vgl.: Römer 9:7-8 und Galater 3:29).

 

 

In der Menschwerdung des Sohnes Gottes, in Seinen Heilstaten, durch die Verkündigung Seiner Frohen Botschaft, durch Seine Leiden, Seinen Kreuzestod und Seine Auferstehung Jesus wurde die Kirche wieder hergestellt und die Engel und Menschen wurden erneut vereint, um gemeinsam die hl. Kirche zu bilden. In einem Tropar heißt es: „Durch Dein Kreuz, o Christus, ist eine Herde entstanden, von Engeln und Menschen, und Eine Kirche. Himmel und Erde freuen sich. O Herr, Ehre sei Dir!“

 

 

Die Einheit der Kirche wird von ihrem Haupt, also vom Herrn Jesus Christus aus, verwirklicht; „der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist; Er hat sie gerettet, denn sie ist Sein Leib.“ (Epheser 5:23).

 

 

In der hl. Kirche wurde die Synaxis, die Sammlung der zerstreuten Kinder Gottes (vgl. Johannes 11:52) vollendet. „Christus hat die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben, um sie im Wasser und durch das Wort rein und heilig zu machen. So will Er die Kirche herrlich vor sich erscheinen lassen, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler; heilig soll sie sein und makellos" (Epheser 5: 23-27).

 

Wenn wir also über die Kirche sprechen, meinen wir nicht einfach nur das Volk Gottes, ohne Christus, noch den Herrn, das Haupt, ohne den Leib. Wir meinen beide zusammen, das Haupt der Kirche (Christus), zusammen mit all seinen Gliedern, den Christen.

 

 

Der Heilige Geist, der am Pfingsttag auf die Kirche herabgekommen ist, bleibt und wirkt beständig in der hl. Kirche. Er erneuert die Gläubigen und gliedert sie ein in den Leib Christi.

 

 

Christus ist „der Erstgeborene unter vielen Brüdern“ (Römer 8: 29); in sich selbst versöhnte Er alle mit Gott (2. Korinther 5: 18 und Kolosser 1: 18-20).

 

 

Nur wenn wir uns dieses vor Augen halten, können wir auch verstehen, warum der Hl. Cyprian die Kirche als der Leib Christi mit dem Heil an sich gleichsetzt.

 

Die Versammlung (griechisch: Synaxis) der versprengten Kinder Gottes und ihre Eingliederung in die Einheit der Kirche Christi ist nicht eine Sache von untergeordneter Bedeutung, sondern vielmehr das Geschehen des Heils an uns selbst (vgl.: Johannes 11: 52).

 

 

Aber durch den Stand der Sünde, in dem wir alle leben, werden wir niemals das Geheimnis des einzigen sündlosen Menschen verstehen können, der Christus ist.

 

Wir werden nicht verstehen können, wie Christus uns in sich erneuert hat und uns zu Gliedern Seines Leibes gemacht hat und den die hl. Kirche immer wieder neu und bis zum Ende der Zeiten in der Feier der hl. Eucharistie, also in der Feier der Göttlichen Liturgie vergegenwärtigt.

 

 

Man kann nicht Christ sein noch sich selbst als Christen bezeichnen, ohne in die hl. Kirche, den Leib Christi auf Erden, eingegliedert zu sein.

 

 

Unsere Versöhnung mit Gott hat unser Herr und Erlöser Jesus Christus auf der Ebene Seiner menschlichen Natur verwirklicht. Die wahre Menschheit Jesu Christi war mit Seiner vollkommenen Göttlichen Natur in der einen Person Christi vereint. Dabei blieben die beiden Naturen aber unvermischt, unverändert, ungeteilt und ungetrennt.

 

 

Durch die vollkommene Übereinstimmung und das vollkommene Zusammenwirken der menschlichen Natur mit der Göttlichen Natur in Christus wurde die sündlose, menschliche Natur Christi ganz und gar vergöttlicht.

 

 

Dadurch und durch alle anderen Heilstaten Jesu Christi, vor allem durch Seine Leiden, Seinen Tod, Seine glorreiche Auferstehung und Himmelfahrt bahnte er allen Menschen den Weg zur Errettung, wie es im Gebet der Anaphora der Basilius-Liturgie heißt.

 

 

 

Diese durch den Herrn Jesus Christus gewirkte Versöhnung wird in uns jedoch nur in dem Maße wirksam, in dem wir uns mit Christus in den Göttlichen Mysterien (Sakramenten) der hl. Kirche, im Gebet und im geistlichen Leben vereinigen.

 

Die Gnade der Heiligen Sakramente, unterstützt von Gebet und einem geistlich orientierten Leben, erneuert unser menschliches Wesen und macht dieses der vergöttlichten menschlichen Natur Christi immer ähnlicher.

 

 

Auf diese Weise werden wir schrittweise mehr und mehr geheiligt. Der hl. Apostel Paulus sagt dazu: „Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung“ (1. Thess. 4:3).

 

Die Heiligung bedeutet, dass wir als Menschen in schöpfungsgemäßer Weise leben, also gemäß unseres von Gott gut erschaffenen Wesens, das zwar in Sünde gefallen ist, aber von Jesus Christus wieder erneuert worden ist.

 

 

Die hl. Väter sprechen hierbei von der „Vergöttlichung (Theosis) des Menschen“, was gleichbedeutend ist mit seiner Heiligung, also der Durchdringung des ganzen menschlichen Wesens mit der Gnade Gottes mittels der Ungeschaffenen Göttlichen Energien, die uns mit Gott vereinen, allerdings nicht „der Natur nach“, sondern „der Gnade nach“.

 

 

Der heilige, vergöttlichte Mensch ist in allem der menschlichen Natur Christi gleich. Der hl. Apostel Paulus sagt darüber: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal. 2:20).

 

 

Der heilige, vergöttlichte Mensch lebt in vollkommener Übereinstimmung mit Gott und Seinem Willen. Er hat Christi Sinn angenommen; er ist also eins und gleichgesinnt mit Christus (vgl. 1. Kor. 2:16; Phil. 2:20).

 

 

Die Heiligung, die Vergöttlichung des Menschen ist im Grunde nichts anderes als unsere gnadengewirkte Heimkehr zum wahren Menschsein, die Rückkehr des verlorenen Sohnes ins Vaterhaus, von der Christus gesprochen hat.

 

 

Aber die Vergöttlichung ist nicht einfach nur eine gnadengewirkte Rückkehr des Menschen auf den Zustand vor dem Sündenfall. Denn durch das Kommen und Erlösungswirken Christi ereignete sich zugleich Erfüllung der ewigen Bestimmung des Menschen durch seine gnadengewirkte Vereinigung mit Gott.

 

 

Die Heiligung ist freilich ein geistlicher Prozess, der unser ganzes Leben lang andauert und den Menschen in seiner komplexen Wirklichkeit von Leib, Seele und Geist betrifft (vgl.: 1. Thess. 5:23).

 

 

Beim Prozess der Heiligung unterstreicht die orthodoxe Kirche die Bedeutung der menschlichen Freiheit in der Aneignung des von Gott gewirkten und geschenkten Heils. Es geht dabei um das Zusammenwirken des Menschen mit Gott bzw. die Synergie zwischen dem souveränen Wirken der Gnade und unserer Mitwirkung an dieser Gnade.

 

 

Gott respektiert also die Freiheit des Menschen, denn Er möchte uns durch Liebe und nicht durch Angst gewinnen. Der orthodoxe Gläubige ist also aufgerufen, alles ihm Mögliche zu tun, um ein gottgefälliges Leben zu führen. Dieses gottgefällige christliche Leben entfaltet sich in vollkommener Weise in der Heiligen Orthodoxen Kirche. Insofern ist der erste und wichtigste Schritt, den wir am Beginn des Lebens als Christenmensch gehen müssen, unsere freiwillige und bewusste Eingliederung in das Leben der hl. Kirche. Denn niemand von uns kann für sich allein das Heil erlangen.

 

 

Die Orthodoxe Kirche ist zutiefst davon überzeugt, dass der Glaube nicht eine religiöse Weltanschauung sein darf, sondern dass der Orthodoxe Glaube den Menschen in seiner komplexen und ungeteilten Wirklichkeit von Geist, Seele und Leib verwandeln und heiligen muss.

 

 

Der heilige Apostel Paulus sagt: „Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus“ (1. Thessalonicher 5: 23).

 

 

Durch den Empfang der hl. Mysterien Christi, die nur in der hl. Kirche gefeiert werden können, wird in uns durch Christus Selbst der Grundstein zu unserer Erlösung gelegt. In der hl. Eucharistie, die in der orthodoxen Kirche jeden Sonn- und Feiertag feiert wird, erhalten wir durch den Empfang von Christi Leib und Blut die gnadenhafte Anteilnahme am göttlichen Leben geschenkt, das uns erst wahrhaft lebendig macht. Durch die Feier der Göttlichen Liturgie bringen wir uns selbst und unser ganzes Leben Gott dar. In den Ektenien, die wie ein Leitmotiv alle Gottesdienste unserer Orthodoxen Kirche durchziehen, werden wir dazu aufgerufen: „Schenken wir uns gegenseitig und unser ganzes Leben Gott!“

 

 

Die Gemeindeglieder sind deshalb dazu aufgerufen, in ihrem täglichen Leben die Erfahrung des einen Leibes, die ihnen durch die Teilnahme an der Heiligen Kommunion geschenkt wurde, zu verwirklichen. Das wird auch am Ende der Göttlichen Liturgie angedeutet: „Lasst uns gegen in Frieden.“

 

 

Die tiefe Einheit und der Frieden des einen Leibes und des einen Geistes, der einen Hoffnung, des einen Herrn, des einen Glaubens, der einen Taufe und des einen Gottes und Vaters aller (Epheser 4: 4-6) muss sich auch im Alltag der Gläubigen lebenspraktisch abbilden.

 

 

Jedem von uns wurden verschiedene Gaben (Charismen) geschenkt. Damit hat jeder seine ganz besondere Aufgabe in der Kirche wahrnimmt. Dabei soll ein jeder und eine jede das besondere Charisma zur Unterstützung der anderen Mitglieder und der ganzen Kirche nutzen.

 

Priester Thomas Zmija

 

 

Das orthodoxe Gebet

 

Das Gebet ist nach orthodoxem Verständnis der Herzschlag unserer Lebensgemeinschaft mit Gott. orthodoxes Gebet ist also weit mehr als das Formulieren von Bitten an Gott. Die Worte der Heiligen Schrift sagen uns eindeutig, dass wir beständig beten sollen.

 

 

Darüber hinaus gibt es im Laufe des Tages besondere Stunden, die der Christ dem Gebet widmen sollte. Das ist am Morgen, wenn wir uns vom Schlaf erheben und uns auf unsere tägliche Arbeit vorbereiten. Das ist aber auch am Abend, wenn wir dem Lauf des Tages beschließen ehe wir uns zur Nachtruhe begeben. Die orthodoxe Kirche hat diese Stunden nicht zufällig für das Gebet bestimmt. Am frühen Morgen, wenn der Geist noch nicht mit der Geschäftigkeit und den Sorgen des Alltagslebens erfüllt ist, können wir unsere Gedanken am besten auf Gott ausrichten. Wenn wir uns durch Stoßgebete und das Jesusgebet darum bemühen im Tageslauf die fromme Grundstimmung beizubehalten, die mit den Morgengebeten geschaffen wurde, wird der Tag von einer Lebenshaltung der bewussten Gegenwart vor dem Angesicht Gottes geprägt sein. Und hier sind wir beim "Bemühen" angekommen: Es gibt Zeiten in unserem Leben, in denen uns das Gebet leichtfällt und es gibt Zeiten, wo unser Gebetsleben von unserem ernsthaften Bemühen getragen werden muss, damit es nicht in Faulheit und Nachlässigkeit versandet. Alles in geistlichen Leben wird uns zwar von der göttlichen Gnade geschenkt, aber Gott zwingt uns zu nichts. Er möchte, dass seine Gnade und unser freiwilliges Bemühen zusammenwirken. Diese Syergeia, dieses Zusammenwirken aus Gnade und Bemühen, prägt auch das orthodoxe Gebetsleben. Deshalb gibt es für jeden orthodoxen Christen eine Gebetsregel, die im Gebetbuch als Gebete am Morgen und Gebete am Abend abgedrückt sind. Wieviel wir davon als persönliche Gebetsregel beten, ist von der jeweiligen persönlichen Lebenssituation abhängig und sollte deshalb mit dem eigenen geistlichen Vater besprochen werden.

Die Kirche hat die Morgen- und Abendgebete als tägliche Regel für die orthodoxen Gläubigen eingeführt. Den Aufbau der Morgen- und Abendgebete kann man im orthodoxen Gebetbuch finden. Dabei gibt es zwei unterschiedliche orthodoxe Traditionen. Während die orthodoxen Christen aus der griechischen Tradition morgens das Mitternachtsgebet (Mesonyktikon) und abends die Komplet (Kleines Apodeipnon)  beten, hat es sich in der russischen Kirche eingebürgert, eine Regel aus bestimmten Vätergebeten zu sprechen. Bis zur Zeit des Patriarchen Nikon war die griechische Ordnung auch in Russland die verbreitete Regel. So beten noch heute die Altgläubigen nach dieser Regel.

 

Den Aufbau der Morgen- und Abendgebete ändert sich an den Ostern und in der Lichten Woche, an denen als Morgen- und Abendgebet jeweils die Osterstunde gebetet wird. Wenn wir zum Empfang der heiligen Kommunion herantreten möchten, wird die abendliche Gebetsregel noch um die Regel der Gebete zur heiligen Kommunion.

 

Wichtig zum Verständnis der orthodoxen Gebetsregel ist und bleibt, dass die Gebetsregel ein Hilfsmittel, eine Leiter zum Himmel ist, jedoch nicht als gesetzliches Joch missverstanden werden darf. Die Mönche und Geistlichen fügen zur gewöhnlichen Regel oft noch besondere Gebete hinzu, die gestresste Hausfrau und Mutter wird vielleicht nur eine ganz kurze Gebetsregel schaffen. Gott sieht auf das Herz des Betenden und auf sein ehrliches Bemühen, jedoch nicht auf eine aus Gesetzlichkeit entsprungene Leistungsfrömmigkeit. Und wer es noch nicht wissen sollte: Orthodoxie ist Güte, Liebe und Erbarmen.

 

Priester Thomas Zmija

 

Über das orthodoxe Stunden- oder Tagzeitengebet

 

Um den orthodoxen Gottesdienst recht zu verstehen, bedarf es zuallererst des gläubigen Mitfeierns und des gläubigen Mitbetens. Jedoch erklären sich der geistliche Sinngehalt sowie die liturgischen Strukturen und symbolischen Handlungen unserer orthodoxen Gottesdienste nicht von selbst.

 

Sie bedürfen ebenfalls einer katechetischen Hinführung wie uns das Beispiel der Katechesen des hl. Cyrill von Jerusalem und vieler anderer hl. Väter zeigt. Aber wir dürfen dann nicht beim katechetischen „Verstehen“ stehen bleiben. Am Ende erschließt sich jeder orthodoxe Gottesdienst nur dem Teilnehmer an diesem  Gebet in der kirchlichen Gemeinschaft.

 

Das Stundengebet, auch „Gebet der Tageszeiten“ genannt, ist als die gläubige Antwort der Kirche auf die Aufforderung des hl. Apostels Paulus an alle Christgläubigen zu verstehen: „Betet ohne Unterlass!“ (1. Thes. 5:17).

 

Bereits die alttestamentliche Kirche kannte für die Abfolge der Gottesdienste im Jerusalemer Tempel fünf Gebetszeiten, wobei die Gebete am Morgen und am frühen Abend eine ganz besondere Bedeutung und liturgische Ausgestaltung besaßen. Bis heute beten wir orthodoxen Christen in der Utrenija mit den Lobpsalmen („Alles was Odem hat, lobt den Herrn" = Psalmen 148-150) sowie der sich anschließenden „Großen Doxologie“ und in der Večernija mit den Luzernar-Psalmen (Psalm 140 ff., zu deren Gesang im Jerusalemer Tempel durch die Leviten am Abend der siebenarmige Leuchter im Heiligtum entzündet und das abendliche Weihrauchopfer dargebracht wurde) und der abendlichen Doxologie in der Večernija, alle wichtigen Teile aus dem Morgen- und Abendgebet der Jerusalemer Tempelliturgie.

 

Aber auch das regelmäßige private Gebet an jeden Morgen und Abend ist bereits fest im Leben der alttestamentlichen Gottesfürchtigen verankert, so dass der hl. Prophet König David uns sagen kann: „Siebenmal am Tag singe ich Dein Lob und nachts stehe ich auf, um Dich zu preisen“ (vgl.: Psalm 118: 62 und Psalm 163).

 

Diese Aufforderung zum siebenfachen liturgischen Gebet wurde bereits in apostolischer Zeit von der orthodoxen Kirche übernommen. Aber nicht allein das Beten des alttestamentlichen Gottesvolkes, sondern vor allem das Vorbild unseres Herr Jesus Christus damit auch Seiner hl. Apostel wurde zur eigentlichen Wurzel unseres heutigen orthodoxen Stundengebetes.

 

Aus den Berichten der hl. Evangelisten wissen wir, dass unser Herr Jesus Christus und die hl. Apostel regelmäßig am Morgen und am Abend beteten, sowie am liturgischen Gotteslob im Tempel und in den Synagogen teilnahmen (vgl. z.B.: Lukas 4: 16).

 

Außerdem hat unser Herr Jesus Christus immer wieder die frühe Morgenstunde und die nächtlichen Stunden rund um Mitternacht dazu genutzt, sich persönlich zum Gebet zurückzuziehen (vgl.: Matth. 5: 26. 36; Luk. 9: 18, 22: 39-46 und viele andere Stellen mehr). Diesem Beispiel folgend, gelten die Nacht- und frühen Morgenstunden in den orthodoxen Klöstern als die fruchtbarsten Zeiten für das Gebet. (siehe z.B. in den geistlichen Empfehlungen verschiedener hl. Starzen).

 

Aus der Tradition des alttestamentlichen Gottesvolkes, sich siebenmal am Tage zum liturgischen Gebet zu versammeln, entwickelte sich bereits in der apostolischen Zeit eine Grundstruktur für das orthodoxe Stundengebet. Diese Gebetszeiten wurden bereits in der frühen Kirche von der versammelten Gemeinde gemeinsam gebetet. Neben das Psalmengebet trat in diesem frühchristlichen Tagzeitengebet auch der der christologische Hymnengesang. Ganz zentral für das christliche Beten wurde seit apostolischer Zeit auch das gemeinsame Beten des Vater Unser.

 

Die apostolische Grundstruktur des frühchristlichen Stundengebetes erscheint für uns bereits deutlich erkennbar in den frühen überlieferten Kirchenordnungen wie z. B. der „Zwölf-Apostel-Lehre“ und den „Apostolischen Überlieferungen“. So kennen die „Apostolischen Überlieferungen“ aus dem 3. Jahrhundert bereits das Gebet der Christgläubigen beim Aufstehen, zur dritten, sechsten und neunten Stunde, beim Sonnenuntergang (Večernija), beim Schlafengehen (Apodipnon), um Mitternacht (Mitternachtsgebet) und beim Sonnenaufgang (Utrenija). Eine ähnlich strukturierte Gebetsordnung der Gemeinden kennen wir auch aus den „Apostolischen Konstitutionen“ aus dem 4. Jahrhundert.

 

Seit der apostolischen Zeit entfaltete sich das christliche Beten immer weiter, wobei es zugleich viele Einzelheiten und Details der mündlichen Anordnungen der hl. Apostel (Heilige Apostolische Tradition) treu bewahrte.

 

Um diesen apostolisch überlieferten Kern entwickelte sich im Laufe der kommenden Jahrhunderte die heutige orthodoxe Gebetsordnung, wobei weitere Gebete durch später lebende Heilige dem apostolischen Kern der Gebetsordnung hinzugefügt wurden. So entstammt z.B. der Christus-Hymnus „Mildes Licht“, den wir bis heute in der Večernija zu Einzug mit dem Weihrauch, an Festtagen aber mit dem Evangelienbuch singen, in seiner heutigen Textfassung bereits dem zweiten Jahrhundert. Dieser Hymnus wurde bereits von den christlichen Märtyrern in Rom während der Christenverfolgungen gesungen. Andere Gebete und Hymnen stammen von den großen Heiligen Ephräm dem Syrer, Johannes Chrysostomos und Basilius dem Großen, von den großen Hymnendichtern der byzantinischen Epoche, wie dem hl. Romanos, dem Meloden, und vielen anderen Heiligen unserer orthodoxen Kirche.

 

Bis in unsere Tage hinein werden dem orthodoxen Gebetsschatz immer wieder neue Gebete hinzugefügt, ohne dass wir die älteren Gebete dabei vergessen würden. So spiegelt die Entwicklung der orthodoxen Gebetsordnung das beständige Wirken des Heiligen Geistes in unserer orthodoxen Kirche wieder.

 

Priester Thomas Zmija

 

Die orthodoxen Kirche und das Leben der Gläubigen

 

Der Begriff „Orthodox“ besteht aus zwei Wörtern: „orthos“ (wahr, richtig) und „doxa“. „Doxa“ bedeutet einerseits „Glauben, Treue, Lehre“ und andererseits „Lobpreis“ oder „Verherrlichung“.

 

Diese beiden Bedeutungsinhalte des Wortes „Orthodox“ sind eng miteinander verbunden. Denn die wahre Lehre über Gott beinhaltet den wahren Lobpreis Gottes.

 

Die Orthodoxen Kirche führt die Menschen zu Christus. Die hl. Väter sagen uns, dass die hl. Kirche als der Leib Christ ein göttlich-menschlicher Organismus ist, also zugleich eine unsichtbare und sichtbare Wirklichkeit besitzt.

 

Die zweite Person (Hypostase) der Allheiligen Dreieinheit - das Wort Gottes (Logos) - nahm zu unserem Heil unsere menschliche Natur an. Er vereinigte sie mit Seiner Göttlichen Natur in der Person des menschgewordenen Herrn und Erlösers Jesus Christus.

 

Die unsichtbare Dimension der Kirche bezieht sich auf die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch und hat als Vorbild die Gemeinschaft der drei Göttlichen Personen (Hypostasen) der Allheiligen Dreieinheit.

 

Mit der Erschaffung der hl. Engel wurde die himmlische Kirche konstituiert. Dieser Kirche wurde der Mensch hinzugefügt: „Ihr seid vielmehr zum Berg Zion hingetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung und zur Gemeinschaft der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind; zu Gott, dem Richter aller, zu den Geistern der schon vollendeten Gerechten“ (Hebräer 12: 22-23).

 

Durch den Sündenfall des Menschen zerbrach seine Gemeinschaft mit der himmlischen Kirche. Gott aber hat sein Geschöpf auch dann nicht verlassen, sondern Er hatte das Heil des Menschen schon von Ewigkeit vorherbestimmt.

 

Um die Rückkehr des Menschen in die Gemeinschaft mit Ihm vorzubereiten, erwählte Gott das Volk Israel, das das Urbild des neuen Israel, das ist die hl. Kirche (vgl.: Römer 9:7-8 und Galater 3:29).

 

In der Menschwerdung des Sohnes Gottes, in Seinen Heilstaten, durch die Verkündigung Seiner Frohen Botschaft, durch Seine Leiden, Seinen Kreuzestod und Seine Auferstehung Jesus wurde die Kirche wieder hergestellt und die Engel und Menschen wurden erneut vereint, um gemeinsam die hl. Kirche zu bilden. In einem Tropar heißt es: „Durch Dein Kreuz, o Christus, ist eine Herde entstanden, von Engeln und Menschen, und Eine Kirche. Himmel und Erde freuen sich. O Herr, Ehre sei Dir!“

 

Die Einheit der Kirche wird von ihrem Haupt, also vom Herrn Jesus Christus aus, verwirklicht; „der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist; Er hat sie gerettet, denn sie ist Sein Leib.“ (Epheser 5:23).

 

In der hl. Kirche wurde die Synaxis, die Sammlung der zerstreuten Kinder Gottes (vgl. Johannes 11:52) vollendet. „Christus hat die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben, um sie im Wasser und durch das Wort rein und heilig zu machen. So will Er die Kirche herrlich vor sich erscheinen lassen, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler; heilig soll sie sein und makellos" (Epheser 5: 23-27).

 

Wenn wir also über die Kirche sprechen, meinen wir nicht einfach nur das Volk Gottes, ohne Christus, noch den Herrn, das Haupt, ohne den Leib. Wir meinen beide zusammen, das Haupt der Kirche (Christus), zusammen mit all seinen Gliedern, den Christen.

 

Der Heilige Geist, der am Pfingsttag auf die Kirche herabgekommen ist, bleibt und wirkt beständig in der hl. Kirche. Er erneuert die Gläubigen und gliedert sie ein in den Leib Christi.

 

Christus ist „der Erstgeborene unter vielen Brüdern“ (Römer 8: 29); in sich selbst versöhnte Er alle mit Gott (2. Korinther 5: 18 und Kolosser 1: 18-20).

 

Nur wenn wir uns dieses vor Augen halten, können wir auch verstehen, warum der Hl. Cyprian die Kirche als der Leib Christi mit dem Heil an sich gleichsetzt.

 

Die Versammlung (griechisch: Synaxis) der versprengten Kinder Gottes und ihre Eingliederung in die Einheit der Kirche Christi ist nicht eine Sache von untergeordneter Bedeutung, sondern vielmehr das Geschehen des Heils an uns selbst (vgl.: Johannes 11: 52).

 

Aber durch den Stand der Sünde, in dem wir alle leben, werden wir niemals das Geheimnis Christi des einzigen sündlosen Menschen verstehen können, der zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch in Seiner Person ist.

 

Wir werden nicht verstehen können, wie Christus uns in sich erneuert hat und uns zu Gliedern Seines Leibes gemacht hat und den die hl. Kirche immer wieder neu und bis zum Ende der Zeiten in der Feier der hl. Eucharistie, also in der Feier der Göttlichen Liturgie vergegenwärtigt.

 

Man kann nicht Christ sein noch sich selbst als Christen bezeichnen, ohne in die hl. Kirche, den Leib Christi auf Erden, eingegliedert zu sein.

 

Unsere Versöhnung mit Gott hat unser Herr und Erlöser Jesus Christus auf der Ebene Seiner menschlichen Natur verwirklicht. Die wahre Menschheit Jesu Christi war mit Seiner vollkommenen Göttlichen Natur in der einen Person Christi vereint. Dabei blieben die beiden Naturen aber unvermischt, unverändert, ungeteilt und ungetrennt.

 

Durch die vollkommene Übereinstimmung und das vollkommene Zusammenwirken der menschlichen Natur mit der Göttlichen Natur in Christus wurde die sündlose, menschliche Natur Christi ganz und gar vergöttlicht.

 

Dadurch und durch alle anderen Heilstaten Jesu Christi, vor allem durch Seine Leiden, Seinen Tod, Seine glorreiche Auferstehung und Himmelfahrt bahnte er allen Menschen den Weg zur Errettung, wie es im Gebet der Anaphora der Basilius-Liturgie heißt.

 

Diese durch den Herrn Jesus Christus gewirkte Versöhnung wird in uns jedoch nur in dem Maße wirksam, in dem wir uns mit Christus in den Göttlichen Mysterien (Sakramenten) der hl. Kirche, im Gebet und im geistlichen Leben vereinigen.

 

Die Gnade der Heiligen Sakramente, unterstützt von Gebet und einem geistlich orientierten Leben, erneuert unser menschliches Wesen und macht dieses der vergöttlichten menschlichen Natur Christi immer ähnlicher.

 

Auf diese Weise werden wir schrittweise mehr und mehr geheiligt. Der hl. Apostel Paulus sagt dazu: „Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung“ (1. Thess. 4:3).

 

Die Heiligung bedeutet, dass wir als Menschen in schöpfungsgemäßer Weise leben, also gemäß unseres von Gott gut erschaffenen Wesens, das zwar in Sünde gefallen ist, aber von Jesus Christus wieder erneuert worden ist.

 

Die hl. Väter sprechen hierbei von der „Vergöttlichung (Theosis) des Menschen“, was gleichbedeutend ist mit seiner Heiligung, also der Durchdringung des ganzen menschlichen Wesens mit der Gnade Gottes mittels der Ungeschaffenen Göttlichen Energien, die uns mit Gott vereinen, allerdings nicht „der Natur nach“, sondern „der Gnade nach“.

 

Der heilige, vergöttlichte Mensch ist in allem der menschlichen Natur Christi gleich. Der hl. Apostel Paulus sagt darüber: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal. 2:20).

 

Der heilige, vergöttlichte Mensch lebt in vollkommener Übereinstimmung mit Gott und Seinem Willen. Er hat Christi Sinn angenommen; er ist also eins und gleichgesinnt mit Christus (vgl. 1. Kor. 2:16; Phil. 2:20).

 

Die Heiligung, die Vergöttlichung des Menschen ist im Grunde nichts anderes als unsere gnadengewirkte Heimkehr zum wahren Menschsein, die Rückkehr des verlorenen Sohnes ins Vaterhaus, von der Christus gesprochen hat.

 

Aber die Vergöttlichung ist nicht einfach nur eine gnadengewirkte Rückkehr des Menschen auf den Zustand vor dem Sündenfall. Denn durch das Kommen und Erlösungswirken Christi ereignete sich zugleich Erfüllung der ewigen Bestimmung des Menschen durch seine gnadengewirkte Vereinigung mit Gott.

 

Die Heiligung ist freilich ein geistlicher Prozess, der unser ganzes Leben lang andauert und den Menschen in seiner komplexen Wirklichkeit von Leib, Seele und Geist betrifft (vgl.: 1. Thess. 5:23).

 

Beim Prozess der Heiligung unterstreicht die orthodoxe Kirche die Bedeutung der menschlichen Freiheit in der Aneignung des von Gott gewirkten und geschenkten Heils. Es geht dabei um das Zusammenwirken des Menschen mit Gott bzw. die Synergie zwischen dem souveränen Wirken der Gnade und unserer Mitwirkung an dieser Gnade.

 

Gott respektiert also die Freiheit des Menschen, denn Er möchte uns durch Liebe und nicht durch Angst gewinnen. Der orthodoxe Gläubige ist also aufgerufen, alles ihm Mögliche zu tun, um ein gottgefälliges Leben zu führen. Dieses gottgefällige christliche Leben entfaltet sich in vollkommener Weise in der Heiligen Orthodoxen Kirche. Insofern ist der erste und wichtigste Schritt, den wir am Beginn des Lebens als Christenmensch gehen müssen, unsere freiwillige und bewusste Eingliederung in das Leben der hl. Kirche. Denn niemand von uns kann für sich allein das Heil erlangen.

 

Die Orthodoxe Kirche ist zutiefst davon überzeugt, dass der Glaube nicht eine religiöse Weltanschauung sein darf, sondern dass der Orthodoxe Glaube den Menschen in seiner komplexen und ungeteilten Wirklichkeit von Geist, Seele und Leib verwandeln und heiligen muss.

 

Der heilige Apostel Paulus sagt: „Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus“ (1. Thessalonicher 5: 23).

 

Durch den Empfang der hl. Mysterien Christi, die nur in der hl. Kirche gefeiert werden können, wird in uns durch Christus Selbst der Grundstein zu unserer Erlösung gelegt. In der hl. Eucharistie, die in der orthodoxen Kirche jeden Sonn- und Feiertag feiert wird, erhalten wir durch den Empfang von Christi Leib und Blut die gnadenhafte Anteilnahme am göttlichen Leben geschenkt, das uns erst wahrhaft lebendig macht. Durch die Feier der Göttlichen Liturgie bringen wir uns selbst und unser ganzes Leben Gott dar. In den Ektenien, die wie ein Leitmotiv alle Gottesdienste unserer Orthodoxen Kirche durchziehen, werden wir dazu aufgerufen: „Schenken wir uns gegenseitig und unser ganzes Leben Gott!“

 

Die Gemeindeglieder sind deshalb dazu aufgerufen, in ihrem täglichen Leben die Erfahrung des einen Leibes, die ihnen durch die Teilnahme an der Heiligen Kommunion geschenkt wurde, zu verwirklichen. Das wird auch am Ende der Göttlichen Liturgie angedeutet: „Lasst uns gegen in Frieden.“

 

Die tiefe Einheit und der Frieden des einen Leibes und des einen Geistes, der einen Hoffnung, des einen Herrn, des einen Glaubens, der einen Taufe und des einen Gottes und Vaters aller (Epheser 4: 4-6) muss sich auch im Alltag der Gläubigen lebenspraktisch abbilden.

 

Jedem von uns wurden verschiedene Gaben (Charismen) geschenkt. Damit hat jeder seine ganz besondere Aufgabe in der Kirche wahrnimmt. Dabei soll ein jeder und eine jede das besondere Charisma zur Unterstützung der anderen Mitglieder und der ganzen Kirche nutzen.

 

Priester Thomas Zmija

 

Über das Wesen der Kirche

 

In der hl. Kirche vollzieht sich das Geheimnis unseres Glaubens. „Das aber ist das ewige Leben, dass sie Dich, Der Du allein wahrer Gott bist, und Den Du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (Joh. 17:3). Die Kirche ist keine menschliche Erfindung, sondern die Gabe Gottes zur Erlösung der Welt. Unser Herr und Erlöser Jesus Christus hat Seine hl. Kirche gestiftet, um die Christgläubigen zu einem Leib, Seiner Kirche zu vereinen. (vgl.: Kol. 1:28.24). Deshalb beschreibt das griechische Wort „Ekklesia“ die „Koinonia“ (Gemeinschaft) und die „Synaxis“ (Versammlung) der Gläubigen, die das Volk des neuen und ewigen Bundes bildet.

 

Die hl. Kirche ist ein Geheimnis (griechisch: Mysterion) weil sie vom Herrn Jesus Christus gestiftet worden ist und mit Ihm seitdem in jener Verbindung steht, in welcher Er ihr Haupt und die Kirche Sein mystischer Leib auf Erden ist. Die Daseinsweise der Kirche als Leib Christi enthüllt auch ihr mystagogischen (sakramentalen) Charakter, denn sie empfängt ihr ganzes Sein von Christus, der ihr einziges Haupt, ihr alleiniger Herr und der Hohepriester Seiner hl. Kirche ist.

 

Die Kirche ist in Christus durch den Heiligen Geist auf die Allheilige Dreieinheit gegründet, damit diejenigen, die in ihr versammelt und eingegliederten sind, Die ganze Fülle des Heils erlangen.

 

Das Reich Gottes ist das Wesen der Kirche und die Kirche ist die Verwirklichung des Reiches Gottes. Der hl. Gregor Dialogos sagt darüber: „Die Kirche wird Himmelreich genannt, denn indem der Herr sie in ihrer Lebensweise zum Himmlischen emporhebt, herrscht sie durch ihren himmlischen Wandel bereits im Herrn.“

Das Reich Gottes ist bereits hier auf Erden in und durch die Kirche erfahrbar, durch das mystagogische Leben der Kirche, durch ihre Verkündigung des hl. Evangeliums sowie durch das Bekenntnis des apostolischen Glaubens. Deshalb sprechen die hl. Väter über die hl. Kirche als dem Ort des Gottesreiches. Es gibt aus diesem Grunde keine wirkliche Trennung zwischen der sichtbaren und der himmlischen Kirche.

 

Die Kirche ist sichtbar, weil in ihr die Herrlichkeit Gottes bereits geschaut werden kann. Sie ist unsichtbar, weil die Gottesschau eine Gnade ist, die nicht den leiblichen Augen, sondern den Herzen gewährt wird.

 

Wie unser Herr und Erlöser Jesus Christus, der Eingeborene Sohn des himmlischen Vaters, Der zu unserer Erlösung Mensch geworden ist, in sich, die göttliche und die menschliche Natur in sich vereint, so vereint auch die hl. Kirche beides. Ihre menschliche Seite mag deshalb auch anfällig sein für Irrtümer, Schwächen und Fehler, aber es gilt der Kirche die Verheißung Jesu Christi: „Ich will meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwinden“ (Matth. 16:18). Das bedeutet, dass die Stürme der Zeiten, auch wenn sie die menschliche Seite der Kirche verwüsten mögen, doch nicht die hl. Kirche als den mystischen Leib Christi zerstören können.

 

Das Wesen der Kirche ist also ein doppeltes, denn die Kirche ist zugleich göttlich und menschlich, entsprechend den zwei Naturen ihres Stifters, des menschgewordenen Gottessohnes Jesus Christus, der zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch ist. Deshalb lehren die hl. Väter, dass das Wesen der Kirche einen gottmenschlichen Charakter trägt.

 

„Das Himmlische und das Irdische, das Unsichtbare und das Sichtbare sind die beiden Existenzweisen derselben gottmenschlichen Realität der Kirche (hl. Justin von Celije). Durch die, aus zwei Seinsweisen bestehende Kirche, die also die beiden Naturen Christi ikonenhaft abbildet, gab uns der Herr auch nach Seiner glorreichen Himmelfahrt die Möglichkeit, an der Fortsetzung Seines Erlösungswerkes teilhaben zu können.

 

Die hl. Kirche wird auch fortbestehen, bis zum Ende der Zeiten, wenn in der Wiederkunft Christi das eschatologische Gottesreich für alle sichtbar werden wird. Bis zur Wiederkunft Christi wird die hl. Kirche als die Arche des Heils für die Gläubigen fortbestehen. Die hl. Kirche ist berufen, Gott in Seiner Allheiligkeit anzubeten und das hl. Evangelium allen Menschen zu verkünden. So ist die hl. Kirche die „Beschützerin und Grundfeste der Wahrheit“ (1.Timotheus 3,15), indem die hl. Kirche die für sie charakteristischen Formen des apostolischen Priestertums, die Feier der hl. Eucharistie und der anderen Göttlichen Mysterien (Sakramente) sowie die gemeinsame Erfahrung der Kirche, die „Heilige Tradition“ oder auch die „Apostolische Überlieferung“ genannt, treu bewahren wird.

 

Christus ist in der hl. Kirche stehts gegenwärtig, da er das Haupt der hl. Kirche, Seines mystischen Leibes auf Erden ist. Der hl. Apostel Paulus: „Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus, von dem aus der ganze Leib zusammengefügt ist und ein Glied am andern hängt durch alle Gelenke, wodurch jedes Glied das andere unterstützt nach dem Maß seiner Kraft und macht, dass der Leib wächst und sich selbst aufbaut in der Liebe“ (Eph 4:15-16).

 

Vor Seiner glorreichen Himmelfahrt hat der Herr Jesus Christus Seinen hl. Jüngern und Aposteln verheißen, ihnen den Heiligen Geist, den Tröster, den Geist der Wahrheit, vom Vater her zu senden. Vom hl. Pfingsttag an, dem Geburtstag der Kirche, ist der Heilige Geist nun in der Kirche Christi gegenwärtig.

 

Die hl. Kirche ist der „Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit“ (1.Timotheus 3,15), denn sie ist die Hüterin der Wahrheit, also des hl. Evangeliums Jesu Christi und des lebendigen Christuszeugnisses, also dem Glauben der hl. Apostel, den sie in der Heiligen Apostolische Tradition durch die Zeiten trägt.

 

Die Ordnungen und Satzungen der hl. Kirche wurden von den hl. Aposteln eingerichtet. Dies geschah auf Grund der Wahrheit, die der Herr Jesus Christus ihnen geoffenbart und hinterlassen hat. Diese Fülle dieser Wahrheit nennen wir die Heilige Apostolische Tradition.

 

Sie umfasst sowohl die Heiligen Schriften, als auch die mündliche Überlieferung und Lehre der hl. Apostel. Sie ist in ihrer ganzen Fülle nur in der Heiligen Orthodoxen Kirche vorhanden, da sie beständig unter der Leitung und dem Beistand des Heiligen Geistes steht. Aus diesem Grunde bekennen wir Orthodoxen, dass es gemäß dem Willen Gottes nur die hl. Kirche ist, die den Menschen den sicheren Weg zur Erlösung zu weisen vermag.

 

Aber die Orthodoxe Kirche fasst den Satz des hl. Cyprian, dass es außerhalb der orthodoxen Kirche kein Heil gibt, nicht ausschließend oder apodiktisch, sondern vielmehr im Sinne der Göttlichen Oikonomia auf: Christus stiftete für das Heil der Menschheit Seine hl. Kirche, aber niemand, nicht einmal die Kirche oder deren Heilige, sind berechtigt, dem Erbarmen und dem Rettungswillen Gottes für jene Menschen, die außerhalb der Kirche stehen, Grenzen setzen zu wollen. „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“      (1. Tim. 2: 4). Darum ist die Erlösung der Menschen, die außerhalb der Orthodoxen Kirche stehen, ein, zwar nur schwer zu verstehendes, Geheimnis der Barmherzigkeit und Liebe Gottes. Es ist also nicht an uns darüber zu befinden, wer gerettet werden kann. Aber es ist sehr wohl an uns, für unsere Errettung in und durch die hl. Kirche lebendiges Zeugnis abzulegen.

 

Die hl. Kirche ist das einigende Band, das alle orthodoxen Gläubigen im wahren Glauben verbindet. Es ist der Heilige Geist, Die dritte Person (Hypostase) der Allheiligen Dreieinheit, der am Pfingstfest auf die hl. Apostel herabkam und seitdem in der Kirche gegenwärtig ist, der sie im wahren Glauben und in der Gemeinschaft der Liebe erhält. Der Heilige Geist ist die Quelle des sakramentalen und geistlichen Lebens in der hl. Kirche.

 

Die Erlösung ereignet sich an uns durch die hl. Mysterien (Sakramente), an welchen wir im liturgischen Leben der hl. Kirche teilhaft werden. In der Feier der Göttlichen Liturgie ereignet sich der Orthodoxe Glaube als ständiges Gebet und doxologisches Bekenntnis, als der geistliche Erfahrungsweg, der auf die gnadenhafte Vereinigung mit Gott, auf die Vergöttlichung (Theosis) hin orientiert ist.

 

Vor allem ist die Feier der Göttlichen Liturgie der Ort, an dem sich die Vergöttlichung des Menschen mystagogisch vollzieht. Auch das Bekennen des Orthodoxen Glaubens ist ein solches, doxologisches Geschehen, das sich in der Koinonia, der Gemeinschaft der Kirche, ereignet.

 

Die vier Wesensmerkmale der hl. Kirche, die wir im Orthodoxen Glaubensbekenntnis bekennen, sind jeweils nur Aspekte des einen Christusgeheimnisses, das jedes der vier Merkmale auf eine ganz bestimmte Weise bezeugt. Wie der eine Herr und Erlöser Jesus Christus nach Tod, Auferstehung und Himmelfahrt zu uns Menschen vermittels Seiner hl. Kirche kommt, so dürfen wir diese vier Aspekte der Kirche nicht voneinander trennen.

 

Denn wer die vier Wesensmerkmale der Kirche voneinander trennt, trennt Christus, wie dies schon die Häretiker Markion, Arius oder Nestorius, die Gnostiker aber auch die viele andere Sekten seit der Frühzeit der Kircher bis in unsere Zeit hinein, getan haben.

 

Jedes der vier Wesensmerkmale der hl. Kirche schließt immer auch die anderen vier Merkmale in sich mit ein, weil es nur Den Einen Sohn Gottes und nur das eine, von Ihm gewirkte Heil sowie nur eine Gemeinschaft der Erlösten, die hl. Kirche gibt.

 

Wenn es Der Eine Herr Jesus Christus ist, Der uns erlöst hat, dann ist Er auch der Einzige und Alleinige Heiland und Erlöser und deshalb ist auch Seine Heilige Orthodoxe Kirche die Eine und Einzige Kirche Christi.

 

Wenn Er unser einziger Erlöser ist, dann muss Er auch für alle Menschen, zu allen Zeiten und an allen Orten, Der einzige und so der universelle Erlöser sein und daher ist auch Seine Kirche „katholisch“, das bedeutet, universell und allumfassend sein.

 

Kein noch so großer Prophet oder menschlich-irdischer Heilsbringer kann uns erlösen, sondern nur allein der Herr Jesus Christus, Der zu unserem Heil menschgewordene Sohn Gott. Deshalb ist Jesus Christus der „Wahre Gott von Wahren Gott, eines Wesens mit dem Vater“. Er ist der Allheilige und Ewig-Seiende, der Unvergängliche und über Allmächtige. Da Christus Gott, der Allheilige ist, so muss auch Seine hl. Kirche, Sein mystischer Leib auf Erden, heilig sein.

 

Und weil Er der Einzige, der Universelle und Allheilige Herr und Erlöser (Christus) und der menschgewordene Gott ist, so ist nur der Herr Jesus Christus der vollkommen glaubwürdige Zeuge der Liebe des himmlischen Vaters zu den Menschen. Er berief deshalb auch Seine hl. Apostel und Jünger, damit sie Seine Zeugen sein sollten bis zu den Enden der Erde und, durch die sich von den hl. Aposteln her in den Bischöfen ohne Unterbrechung fortsetzende, apostolische Zeugenschaft. Deshalb muss auch die hl. Kirche apostolisch sein, das bedeutet, in dieser Nachfolge und auf den wahren Glauben der hl. Jünger und Apostel gegründet.

 

Die Einheit im Orthodoxen Glauben und die Gemeinschaft des orthodoxen Gottesdienstes in der hl. Kirche stellt das Band dar, das die orthodoxen Gläubigen mit ihrem Herrn und Erlöser Jesus Christus und untereinander in Liebe und Eintracht verbinden. Das Bekennen desselben Orthodoxen Glaubens kommt vor allem in derselben Feier der Gottesdienste zu Ausdruck, den das rechtgläubige Dogma wird gerade durch das rechte Gotteslob der orthodoxen Gottesdienste bekannt und verkündet.

 

Die Kirche ist „heilig“, weil der Herr Jesus Christus, ihr Haupt, heilig ist und sich für die Kirche hingegeben hat, „um sie zu heiligen, damit Er selbst die Kirche in herrlicher Gestalt vor sich hinstellte als eine, die weder Flecken noch Runzel oder etwas dergleichen hätte, sondern heilig und untadelig sei“ (Eph. 5: 25-27). Christus machte Seine hl. Kirche zum „Haus Gottes“ (1.Tim. 3:15; Hebr.3:6). Es ist der Herr Selbst, der den Gläubigen der Kirche durch die Gabe des Heiligen Geistes vom Vater auch Anteil an der Gemeinschaft mit der Allheiligen Dreieinheit gibt und ihnen dadurch gnadengewirkten Anteil an der Heiligkeit, Gnade und dem göttlichen Leben geschenkt hat.

 

Unsere christliche Hoffnung ist gegründet auf dem Reich Gottes, das bereits in und durch die hl. Kirche für uns angebrochen ist. Es ist gerade die Feier der hl. Eucharistie, die die Kirche bereits hier inmitten einer gefallenen Welt als Ikone des Reiches Gottes geheimnisvoll aufstrahlen lässt. Die Kirche wird als mystische Leib Christi auf Erden durch die Gegenwart und das Gnadenwirken des Heiligen Geistes konstituiert und erhalten. Und es ist der Heilige Geist, der in den Gliedern dieses Leibes lebt und sie beständig in der Heiligkeit wachsen lässt. Es ist der Heilige Geist, der die Gläubigen in und durch die hl. Kirche zur Heiligung und gnadengewirkten Vergöttlichung (Theosis) hinführt. 

 

Der orthodoxe Gläubige erlebt im gesamten geistlichen Leben der Kirche das beständige Wirken des Heiligen Geistes entweder als Epiklese oder als Doxologie. Dabei gibt es keinen wirklichen Unterschied zwischen den Gaben des Heiligen Geistes - den Charismen - und der uns vergöttlichenden Gnade Gottes. So handelt der Heilige Geist in der Kirche auf verschiedene Weise, indem er die verschiedenen Gaben (Charismen) und Ämter verteilt und „einem jeglichen das Seine zuteilt“ (vgl.: 1. Kor. 12:11), so dass die gesamte Kirche durch das Wirken „Seiner Gnadengaben auferbaut und erhalten“ wird. Auf dieses Wirken des Heiligen Geistes im geistlichen Leben der Kirche weist uns der hl. Apostel Paulus in seinem ersten Korintherbrief hin, wenn er die hl. Kirche als einen vom Heiligen Geist gewirkten und erhaltenen Leib charakterisiert. Die Kirche als der Leib Christi setzt sich aus Gliedern zusammen, die mit den verschiedenen Gaben des Heiligen Geistes geschmückt sind, darunter sind auch die verschiedenen Ämter in der Kirche (vgl.: 1. Kor. 12:27; Eph. 1:23 & 4:12 & 5,:30; Kol. 1: 24), die um der Seelsorge am Volke Gottes willen in der Kirche existieren.

 

Die hl. Kirche ist die Hüterin und Spenderin der hl. Mysterien (Sakramente), durch die uns die Göttliche Gnade und das Heil geschenkt werden. Unter den hl. Mysterien ist die hl. Eucharistie der Mittelpunkt des gesamten kirchlichen Lebens. Deshalb ist die Feier der hl. Eucharistie, die Feier der Göttliche Liturgie, auch die authentische Darstellung des Wesens der hl. Kirche. Es besteht eine untrennbare und wesentliche, eine aufeinander und ineinander bezogene, Einheit des mystischen Leibes Christi und des eucharistischen Leibes Christi.

 

Dieses Ein-Leib-Sein in Christus entfaltet sich durch den Heiligen Geist, der die Gemeinschaft des Heils und der Gnade, die hl. Kirche Christi, andauernd erfüllt, festigt und erhält. Die hl. Kirche als der mystische Leib Christi nimmt seine sichtbare Gestalt an im Volk Gottes, der von unterschiedlichen Gaben und Charismen erfüllt, geprägten und geschmückten Gemeinschaft der Rechtgläubigen, die durch die hierarchisch strukturierten Dienstämter in der hl. Kirche in der rechten Ordnung und im wahren Glauben erhalten und bewahrt wird.

 

Die Heilige Orthodoxe Kirche ist in der ganzen Welt die „Säule und Grundfeste der Wahrheit“ (1. Tim 3:15), denn die hl. Kirche trägt die Verantwortung für die Ausbreitung Wahrheit des rechten Glaubens, die uns im hl. Evangelium von Christus selbst verkündet worden ist, durch die Predigt der hl. Apostel bezeugt und übergeben wurde und von den hl. Vätern treu bis zum heutigen Tag bewahrt worden ist. Deshalb ist die Orthodoxe Kirche die eine und einzige Zeugin der Wahrheit, und die Grundfeste des Glaubens, denn sie besitzt allein die Fülle der Vollmacht, den Glauben zu bezeugen, der „einstmals den Heiligen anvertraut wurde“ (Jud. 3).

 

Deshalb ist die hl. Kirche ist die Einheit des „neuen Menschen in Christus“. Durch Seine Menschwerdung hat der Sohn Gottes „von Neuem eine lange Aufeinanderfolge menschlicher Wesen begonnen“ (hl. Irenäus von Lyon) und so ein neues, gesegnetes Gottesvolk erschaffen, die geistliche Nachkommenschaft des Zweiten Adam (Christus).

 

So bekennen wir im Glaubensbekenntnis die Einheit der Kirche. Diese Einheit überragt aber jede menschliche und irdische Einheit, denn sie ist eine vollkommene und göttliche Gabe, Folge der Anwesenheit des Heiligen Geistes in der Kirche.

 

Die Glieder der Kirche sind in Christus durch den Herrn Selbst geeint. Der Herr verkündet uns diese Einheit im hl. Evangelium. Dort heißt es, dass die Gläubigen in der hl. Kirche geeint sind wie Weinreben am Weinstock. Sie sind in den Weinstock Christus durch den Heiligen Geist eingewurzelt und durch Ihm in die Einheit des ewigen und geistlichen Lebens mit dem Vater und dem Geist gesammelt worden.

 

Deshalb steht die hl. Kirche ihrem Wesen, Dasein und Leben nach in engem Zusammenhang mit dem Geheimnis des Dreieinigen Gottes, der sich in Christus Jesus und dem Heiligen Geist offenbart (vgl. Eph. 5: 32). Sie ist daher „der Schatz der unaussprechlichen Geheimnisse Gottes“, wie es uns der hl. Johannes Chrysostomus in seiner Auslegung des Ersten Korintherbriefes sagt.

 

Die Kirche besteht und lebt als „Gemeinschaft der Heiligen“ bereits hier auf Erden in der organischen Gemeinschaft mit den im Himmel schon Vollendeten, den hl. Engeln und allen Heiligen, insbesondere mit der Allheiligen Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria.

 

Die Heiligen im Himmel stehen wiederum den auf Erden noch lebenden und kämpfenden Gläubigen, die den guten Kampf noch kämpfen (vgl.: 2. Tim. 4:6) bei. So ist die Kirche sowohl unsichtbar und himmlisch, aber zugleich auch irdisch und sichtbar. Sie ist eine Gemeinschaft die mit den Attributen „katholisch“ und „apostolisch“ als ein Organismus, der mit einem Hirten- und Priesteramt, das von den hl. Aposteln her stammt, charakterisiert ist. Ihre Verkündigung enthält die Fülle der Wahrheit des hl. Evangeliums. Nur der Orthodoxen Kirche wurde das rechte Verständnis des hl. Evangeliums und der Lehre der hl. Apostel zur getreulichen und rechtgläubigen Verkündigung anvertraut.

 

Diesem apostolischen und allumfassenden (katholischen im Sinne des griechischen Wortes „katholikos“) Glaubensgutes entspringen, durch das Wirken des Heiligen Geistes, gleich einem unversiegbaren, bleibenden Quell die dogmatischen und ethischen Grundsätze der hl. Kirche, ihr geistliches Leben, ihr feststehender und rechtgläubig geordneter Gottesdienst. Deshalb ist die hl. Kirche die überall ausgebreitete und die ganze Fülle der Wahrheit umfassende, Eine, Heilige, Allumfassende (Katholische) und Apostolische Kirche.

 

Die Kirche ist „katholisch“, da Christus, ihr Haupt, der Herr des gesamten Universums ist. Es ist der hl. Kirche vorausbestimmt, dass sie sich über die ganze Schöpfung erstrecken wird, über alle Völker und durch alle Zeiten (vgl.: Matth.28:20; Mk. 16:15; Apg. 1:8). Das ist gewissermaßen eine äußere, quantitative Bedeutung des Wortes „katholisch“.

 

Aber das Wort „katholisch“ besitzt auch eine innere, qualitative Bedeutung. Die Kirche wird „katholisch“ genannt, weil sie, obwohl über die ganze Erde verstreut, immer und überall dieselbe ist. Sie ist „katholisch“, da sie die „gesunde Lehre“ hat (Tit. 2: 1; 1. Tim. 6:20), in der Fülle der Überlieferung der hl. Apostel steht und verbleibt und deshalb die Fülle des Glaubens treu und rechtgläubig bewahrt.

 

Nach dem Zeugnis des hl. Kyrill von Jerusalem in seinen Taufkatechesen wird die Kirche „katholisch“ genannt, weil sie über den ganzen Erdkreis, von einem Ende der Erde bis zum andern ausgebreitet ist und weil sie vollständig und umfassend alle Glaubenswahrheiten, die zur Kenntnis der Menschen kommen sollen, lehrt, bekennt und bewahrt.

 

Wir nennen die Orthodoxe Kirche im Glaubensbekenntnis „apostolisch“, da ihr göttlicher Stifter und Sein Heilswerk durch die hl. Apostel Vollkommen bezeugt und verkündet worden ist. (vgl.: Hebr. 3:1 und Gal.4:4). Durch die unbedingte Treue zu dem, durch die hl. Apostel überlieferten, Glaubensgut ist die Orthodoxe Kirche erbaut „auf dem Grund der Apostel und Propheten, wobei Christus Jesus der Eckstein ist“ (Eph. 2:20)

 

Die Heilsbotschaft  und die Orthodoxe Kirche stehen in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem menschgewordenen Sohnes Gottes: Der Sohn wurde vom Vater in die Welt gesandt: Er selbst sendet die hl. Jünger und Apostel (vgl. Joh. 20: 21), zu denen er gesagt hat: „Wer euch hört, hört mich“ (Luk. 10: 16).

 

In ihrer Nachfolge wird die apostolische Sendung durch ihre Nachfolger, die Bischöfe der Orthodoxen Kirche fortgeführt, die das vom Herrn den hl. Aposteln anvertraute Glaubensgut in Wahrheit und umfänglicher Fülle festhält und weitergibt durch das geistliche Leben, die Feier der Göttlichen Mysterien sowie den Vollzug der anderen Gottesdienste und in der Lehre und Verkündigung, also dem Ethos der hl. Kirche.

 

Die von der Kirche treu und unverkürzt bewahrte apostolische Lehre ist die innere Seite ihrer Apostolizität. Die sichtbare Seite der Apostolizität ist die von den Aposteln ausgehende ununterbrochene Reihe und Nachfolge der bischöflichen Hirten und Lehrer der Kirche, die als das äußere Merkmal der Apostolizität gleichsam deren Bürgschaft für die Wahrheit der Kirche ist.

 

Diese beiden Elemente der Apostolizität, das innere und das äußere, begründen und bedingen einander: fehlt das eine oder das andere, so wird das Wesen der Apostolizität und die Fülle der Wahrheit der Kirche beeinträchtigt.

 

Die vier dogmatischen Eigenschaften der Kirche durchdringen einander in unauflöslicher Einheit und weisen hin auf die Unzerstörbarkeit und Untrüglichkeit der Kirche, als der „Säule und Grundfeste der Wahrheit“ (1.Tim. 3 :15) hin.

 

Priester Thomas Zmija

 

Über die Göttlichen Mysterien der orthodoxen Kirche

 

Im geistlichen Leben der Orthodoxen Kirche nehmen die hl. Mysterien (Sakramente) einen herausragenden Platz ein. Die hl. Mysterien werden in der abendländischen Tradition als „Sakramente“ bezeichnet. Das lateinische Wort „sacamentum“ kommt vom Adjektiv „sacer“, was „heilig“ bedeutet. Insofern lässt sich der Begriff „Sakrament“ als das „Heilige“ oder auch das „Geheiligte“ übersetzen.

 

Die Orthodoxe Kirche verwendet traditionell, nicht das Wort „Sakrament“, sondern bevorzugt vielmehr den Begriff „Mysterion/“ (griechisch: μυστήριον, slavisch: Таинство). Das Wort „Mysterion“ leitet sich vom griechisch Verb „myoo" ab, was die „Augen verhüllen“ bedeutet. Im deutschen Sprachgebrauch kennen wir den Begriff „Mysterium“, was „Geheimnis" bedeutet. Wenn wir Orthodoxen den Begriff „Mysterium“ bevorzugen, so verdeutlicht hierin die demütige Einsicht, dass wir Menschen die ganze Fülle der Göttlichen Gnade, der wir in den hl. Sakramenten begegnen, mit unserem menschlichen Verstehen überhaupt nicht zu fassen vermögen.

 

Hier ist zunächst einmal wichtig, dass wir bereit sind zu anerkennen, dass wir durch den Sündenfall in unserer gesamten menschlichen Natur verletzten Menschen durch die das Wirken der ungeschaffenen Gnade Gottes an und in uns erst wieder schrittweise zur ganzen Fülle unseres schöpfungsmäßigen Seins, also zur Heilung und Heiligung, geführt werden müssen. Dies geschieht vor allem durch die Teilhabe an den hl. Mysterien. Sie sind im orthodoxen Verständnis eine geistliche Therapie für uns durch die Sünde gebrochenen und verletzten Menschen.

 

Unser geistlicher Weg zur Heilung und Heiligung umfasst die Buße und Umkehr (griechisch: μετάνοια/ Metanoia), die Reinigung von unseren Sünden und Leidenschaften (griechisch: κάθαρσις/ Katharsis) und die Erleuchtung (griechisch: Φώτηις/ Photisis, was durch den Empfang der hl. Mysterien). Durch das Wirken von Gnade Gottes werden wir Schrittweise zur Heiligung, also zur Wiederherstellung des Ebenbildes Gottes in uns (vgl.: 1.Kor 11:7) geführt.

 

Da wir uns ein ganzes Leben lang auf diesem geistlichen Heilungsweg befinden, bleiben die hl. Mysterien ein unfassbar großes Geheimnis der Gnade Gottes. Die hl. Mysterien sind geistliche Medikamente, durch die wir der Heilwirklichkeit des menschenliebenden und erbarmungsreichen Gottes begegnen dürfen. Als Menschen können wir uns nur mit Glauben und Liebe, mit Demut und Gottesfurcht der, in den hl. Mysterien verhüllt gegenwärtigen, Göttlichen Gnade soweit annähern, „wie wir es zu ertragen vermögen“ (vgl.: Tropar der Verklärung Christi).

 

In den Göttlichen Mysterien erfahren wir das geheimnisvolle Heilhandeln Gottes an uns, also die sakramentale Heilung, Wiederherstellung, Heiligung und Verwandlung unseres durch die Sünde gebrochenen Menschseins hinein in das Ebenbild Jesu Christi. Wir können an den hl. Mysterien teilnehmen und an ihrer Gnade teilhaben, wir können vermittels der hl. Mysterien geheilt, geheiligt und vergöttlicht werden, aber sie übersteigen - um dies noch einmal deutlich zu betonen - in ihrer ganzen Fülle und Heilswirklichkeit bei weitem all unser menschenmögliches Verstehen.

 

Deshalb sprechen die hl. Väter von den Göttlichen Mysterien, also den tiefen und großen Geheimnissen Gottes, die an und in uns das Heil bewirken.

 

Die hl. Mysterien sind heilige Handlungen der Kirche, das heißt, sie werden im Rahmen der Kirche und ihrer Gottesdienste vollzogen und gespendet. Sie betreffen also den einzelnen Gläubigen, aber eben gerade nicht in einem individualistischen Sinn, sondern wir begegnen und erfahren ihr Heils- und Erlösungswirken immer inhalb der Gemeinschaft der hl. Kirche.

 

Dies gilt in besonderer Weise für die hl. Eucharistie, die als eucharistischer Leib Christi den mystischen Leib Christi, die hl. Kirche, zur erfahrbaren Wirklichkeit für die Gläubigen werden lässt. Deshalb sagt der hl. Cyprian von Karthago, dass es außerhalb der hl. Kirche, das heißt, ohne das Heilshandeln Christi vermittels der in Seiner Kirche gespendeten hl. Mysterien, kein Heil geben kann.

 

Die Kirche ist nicht einfach nur eine Werkstatt für das Heil des Menschen, sondern die hl. Kirche ist das einzig mögliche Heil für alle Menschen. Die Versammlung (griechisch: σύναξις/ Synaxis) der versprengten Kinder Gottes und ihre Eingliederung in die Einheit der Kirche Christi ist nicht eine Sache von untergeordneter Bedeutung, sondern nicht weniger als das Heilsgeschehen in Christus selbst (vgl.: Joh. 11: 52).

 

Das, woran wir glauben, wurde uns von Gott Selbst offenbart, in der Heiligen Schrift bezeugt und durch die hl. Kirche vollgültig zum Ausdruck gebracht. Das bedeutet, dass die Fülle und das rechte Verständnis des christlichen Glaubens durch die Orthodoxe Kirche gelehrt und verkündet wird.

 

Das Zeugnis der Kirche verkündet uns unsere hohe Berufung: Kinder Gottes zu werden und im Leben mit der hl. Kirche bereits hier auf Erden in das ewige Leben mit Gott eintreten zu dürfen.

 

Die geschieht nicht nur dann, wenn wir das Wort Gottes hören und befolgen, dies geschieht vor allem dann, wenn wir dem menschgewordenen Wort Gottes, dem Herrn Jesus Christus, dem Eingeborenen Sohn des Himmlischen Vaters In Seinen heilstiftenden Mysterien begegnen und uns dabei in Söhne und Töchter Gottes verwandeln lassen.

 

In den hl. Mysterien wird uns durch sichtbare Zeichen (Brot, Wein, Öl und Wasser) und durch die liturgische Handlungen die unsichtbare, Ungeschaffene Gnade Gottes geschenkt, die uns von unseren Sünden reinigt, die unsere menschliche Natur heiligt und ihr die verwandelnde und verklärende Kraft Gottes auf dem Weg ins ewige Leben schenkt.

 

In der hl. Kirche vollzieht sich also durch die Teilhabe an den hl. Mysterien eine ganz reale Begegnung mit dem Heilsgeheimnis Gottes: „Das aber ist das ewige Leben, dass sie Dich, Der Du allein wahrer Gott bist, und Den Du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (Joh. 17:3).

 

Die hl. Mysterien sind deshalb weit mehr als bloße religiöse Zeichen; sie sind vielmehr die uns sakramental verwandelnde Begegnung und Kommunikation mit Gott Selbst. Die hl. Mysterien offenbaren und vermitteln uns in der Begegnung mit dem geheimnisvollen Rettungshandeln Gottes die ganze Fülle der trinitarische Heilsökonomie.

 

Die hl. Mysterien sind also nicht einfach nur Zeichen oder christliche Rituale, sondern sie sind vielmehr sichtbare und gnadenerfüllte Vermittler der erlösenden und heiligenden Gegenwart Gottes in der Kirche, die dazu dienen, dem Gläubigen die gnadenhafte Teilhabe an der Gemeinschaft mit Gott (Vergöttlichung, griechisch: Θέωσις/ Theosis), die geistliche Erfahrung der Kirche als der mystische Leib Christi (собо́рность/ Sobornost) und die Gabe der Nächsten- und Bruderliebe zu vermitteln.

 

Alle Mysterien der hl. Kirche bilden zusammen eine einzige, geistgewirkte organische Struktur des Göttlichen Heils, in der jedes der sieben heiligen Hauptmysterien eine charakteristische Stelle und Bedeutung wahrnehmen. Sie alle zusammen sind die vom epikletischen Wirken des Heiligen Geistes erfüllten Vermittler des erlösenden Heilshandeln Christi an uns.

 

Durch die hl. Mysterien erfahren wir eine Wirklichkeit, von der der hl. Apostel Paulus sagt: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Galater 2:20).

 

Am Anfang dieses Weges zu einem Leben in Christus steht die hl. Taufe. Der hl. Paulus schreibt, dass wir „durch den einen Geist in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen worden sind…“ (vgl. 1. Kor 12:13), um die Eine, Heilige, Katholische und Apostolische Kirche zu werden.

 

Deshalb bilden die drei hl. Mysterien Taufe, Myronsalbung und Kommunion seit apostolischer Zeit in der Orthodoxen Kirche eine mystagogische Einheit. Die ersten beiden genannten hl. Mysterien sind zugleich die Voraussetzung und Hinführung, um die Hl. Kommunion, den allreinen Leib und das kostbare Blut Jesu Christi, empfangen zu können.

 

Alle drei hl. Mysterien sind also gleichermaßen notwendig, damit der Gläubige mit Christus vereinigt und in den Leib Christi, die Heilige Orthodoxe Kirche, eingegliedert wird. Deshalb ist der Empfang dieser drei hl. Mysterien der Grundstein und Eckpfeiler unseres Erlösungsweges, das Unterpfand unserer Errettung, da sie uns die hl. Mysterien in ihrem Empfang unmittelbar in die Fülle des christlichen Glaubens hineinführen.

 

Priester Thomas Zmija

 

In Christus sein und bleiben - das orthodoxe Ethos

 

Wenn wir die Frage nach dem orthodoxen Ethos betrachten wollen, so ist es wichtig festzuhalten, dass dieses Ethos die sittliche Seite des orthodoxen Glaubens zum Ausdruck bringt. Für uns orthodoxe Christen ist das ihr Leben prägende orthodoxe Ethos nicht in irgendwelchen moralisch-erzieherischen Werten oder gar in staatlichen, politischen, gesellschaftlichen, sozialen oder gar egoistischen Interessen, sondern im liebenden und ordnenden Willen Gottes gegründet. Das orthodoxe Ethos ist also die orthodoxe Geisteshaltung, die aus der Heiligen Tradition und dem Leben der orthodoxen Kirche erwächst, denn der Mensch kann durch sein ethisches Handeln an der Ausführung des Willens Gottes mitwirken (Synergeia). So ist das orthodoxe Ethos der gemeinsame Kompass der orthodoxen Christen, während das Gewissen der persönliche Kompass ist.

 

Wie in allen anderen Aspekte des orthodoxen Glaubenslebens, so setzt auch dieses orthodoxe sittliche Leben den durch den Herrn Jesus Christus empfangen, den durch die hl. Apostel verkündeten, den durch die hl. Väter auslegten und erklärten und den durch die hl. Kirche in ihrer Tradition empfangen und treu bewahrt orthodoxen Glauben im Leben der Gläubige fort. So ist Das orthodoxe Ethos ist also jener christliche Geist, der die dem orthodoxen Glauben entsprechende Denkungsart, Lebenshaltung und Lebensgestaltung zum Ausdruck bringt.

 

Somit ist auch das orthodoxe Ethos eine der Lebensäußerungen der orthodoxen Tradition. Die orthodoxe Tradition beinhaltet einerseits die Heilige Apostolische Tradition, anderseits aber auch das lokale und zeitlich bedingtes Brauchtum. Dieses Brauchtum gibt der orthodoxen Kirche in einem bestimmten Land und in einer bestimmten Region ihr Lokalkolorit. Jedoch hat sich dieses Brauchtum erst im Lauf der Zeit herausgebildet und es verändert sich ebenfalls im Lauf der Zeit. Insofern müssen wir auch zwischen dem apostolischen Ethos der orthodoxen Kirche und zeitbedingten Ausdrucksformen und Auffassungen des kirchlichen Lebens unterscheiden.

 

Was ist es also, das die Kirche vom Herrn Jesus Christus empfangen und treu bewahrt hat, das die hl. Apostel in ihr verkündeten, das die hl. Väter dort auslegt und erklärt haben? Es ist die Heilige Orthodoxe Tradition, die als mündliche Lehre mit der schriftlichen Verkündigung (Neues Testament) der hl. Apostel eine vollkommene harmonische Einheit, also ein zusammenhängendes symphonisches Ganzes bildet.

Aus dieser symphonischen Ganzheit formt sich wiederum auch eine gemeinsame orthodoxe Denkungsart, Lebenshaltung und Lebensgestaltung.

 

Die orthodoxen Christen unterscheiden sich durch ihr orthodoxes Ethos wahrnehmbar von ihren Mitchristen in den anderen christlichen Konfessionen. Das orthodoxe Ethos unterscheidet sich von den offenbar sich wandelnden Meinungen und Allgemeinauffassungen, wie sie heute das Eigenbewusstsein unserer evangelischen und katholischen Mitchristen dominieren. „Man muss mit der Zeit gehen“ ist gerade nicht die Auffassung des orthodoxen Ethos, sondern wir Christen müssen auch heutzutage das „Salz der Erde“ (vgl.:Matth. 5: 13) und das „Licht der Welt“ (vgl.: Joh. 8: 12) sein. Wir müssen uns von der Welt nicht abschotten, aber wir müssen erkennbar anders, also Jünger und Nachfolger Jesu Christ sein.

 

So ist auch das orthodoxe Ethos Ausdruck eines Lebens gemäß der orthodoxen Tradition. Die orthodoxe Tradition ist etwas in ihrem Wesenskern Überliefertes und nicht nur etwas geschichtlich Gewachsenes, was dann durch das Denken und Meinen der jeweiligen Zeit verändert werden kann. Wenn der orthodoxe Glaube das lex orandi (Ordnung des Betens) und das lex credendi (Ordnung des Glaubens) formuliert, so formuliert das orthodoxe Ethos das lex vivendi (Ordnung der Lebenshaltung und Gestaltung). Dabei ist das orthodoxe Ethos aber von Moden und Strömungen, die es auch unter den orthodoxen Gläubigen gibt, zu unterscheiden. Gerade zelotische und fundamentalistische Kreise neigen dazu, ihre Meinungen zur Richtschnur für die gesamte Orthodoxie erheben zu wollen.

 

Wir Menschen können hier auf Erden nicht ohne Ordnungen, Normen und Regeln zusammenleben. Diese gilt auch für die Koinonia (Gemeinschaft) der Kirche. Jedoch trägt auch die Kirche als Leib Christi einen gottmenschlichen Charakter. Das bedeutet, dass ihre Ordnungen, Normen und Regeln nicht allein geschichtlich bedingt sind, sondern dass bestimmte Teile als „wesentlich“ bereits von unserem Herrn Jesus Christus und Seinen hl. Aposteln festgelegt wurden. Das gemeinsame Leben der Kirche entfaltet sich in der Geschichte Kraft solcher Normen. Sie sind für die Kirche bindend als ein ihr von ihrem Stifter verliehenes Erbe.

 

Aber die Einheit der Glieder im Leib Christi darf nicht mit Einförmigkeit verwechselt werden: „Denn wie wir alle an dem einen Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, als Einzelne aber sind wir Glieder, die zueinander gehören. Wir haben unterschiedliche Gaben, je nach der uns verliehenen Gnade“ (Röm. 12:4–6). Der hl. Apostel Paulus entfaltet diesen Gedanken auch im Ersten Korintherbrief (vgl. 1 Kor 12,12–31), wo er zwischen Gnadengaben (Charismen) und Diensten (Diakoniai) unterscheidet, die bei aller Unterschiedlichkeit immer auf den einen Herrn Jesus Christus verweisen, Der alles in allem bewirkt (vgl.: 1 Kor. 12:4–6).

 

Die einzelnen Gläubigen haben ihre Charismen und Dienste nicht für sich selbst bekommen, sondern damit sie diese einsetzen für den Aufbau des ganzen Leibes Christi. Alle sind wir berufen, gemeinsam in der Kirche das Leben in Christus zu entfalten und so zur Einheit des Leibes beizutragen. Der modus vivendi, also wie wir in der Kirche zusammenleben und der modus agendi, also wie wir unser Miteinander im kirchlichen Leben gestalten orientiert sich dabei an der Allheiligen Dreieinheit. Es geht also auch bei der Verwirklichung des orthodoxen Ethos nicht um eine Unterwerfung unter starre Normen, sondern vielmehr um die geistgewirkte Einheit in der Liebe, die jeden einzelnen einschließt, aber in seiner Persönlichkeit und Individualität auch vollkommen ernst nimmt.

 

Unser Herr und Erlöser Jesus Christus kündigte an, dass der Heilige Geist die hl. Jünger und Apostel in alle (die ganze) Wahrheit führen wird, die sie aber in der Nacht vor Seiner Kreuzigung (vor der Herabkunft des Heiligen Geistes) noch nicht erfaßt hatten. Es ist der Heilige Geist, Den der Vater im Namen Jesu Christi senden wird, Der die Apostel und damit die ganze Kirche alles lehren und die Gemeinschaft der Kirche an alles erinnern wird, was der Herr und Erlöser zu den hl. Aposteln gesagt hat (vgl.: Joh.14: 26); Es ist also Gott, der Heilige Geist, Der die hl. Apostel und damit auch die Gemeinschaft der Kirche in die ganze Wahrheit führen wird (vgl.: Joh. 16: 13).

 

Die gilt sowohl für den orthodoxen Glauben als auch das darauf aufbauende orthodoxe Ethos. Deshalb setzt die orthodoxe Kirche in allen Aspekten des kirchlichen Lebens den christlichen Geist im Leben der Gläubigen über Jahrhunderte hinweg fort, so wie ihn der Herr Jesus Christus selbst offenbart und wie ihn dann die hl. Kirche über die dann folgenden Zeitalter hinweg überliefert und bewahrt hat. Dies gilt sowohl im Glauben, im Gebet, im Gottesdienst, in der Verwaltung der hl. Sakramente und eben auch in der Gestaltung des christlichen Lebens.

 

An dieser Veränderungsresistenz und diesem unbeirrbaren Beharrungsvermögen der Orthodoxie reiben sich einerseits die Anderen, anderseits sind sie auch ein Erkennungsmarker dafür, worin sich das orthodoxe Christentum von den jeweiligen Strömungen des Zeitgeistes unterscheidet.

 

So bewahrt die orthodoxe Kirche unverändert den ihr vom Herrn Jesus Christus als Seiner Kirche geschenkten und von den hl. Vätern aller Zeiten ausgelegten und erklärten geistlichen Schatz. Dieser urchristliche Geist der orthodoxen Kirche bildet das orthodoxe Ethos. Das orthodoxe sittliche Leben befindet sich dadurch auch in einem lückenlosen Zusammenhang mit dem ursprünglichen Leben der Kirche, sowohl in den Glaubenswahrheiten und dem geistlichen Leben, wie auch in der Art der orthodoxen Lebenshaltung und Lebensgestaltung.

 

Das orthodoxe Ethos ist deshalb weit mehr als nur eine Übereinstimmung mit der ursprünglichen sittlichen christlichen Lehre. Es ist derselbe Geist der Apostel und Heiligen, welcher das Leben der orthodoxen Gläubigen von Pfingsten an bis unsere Tage erfüllt. Die Physiognomie des orthodoxen Ethos ist unverändert geblieben; es ist wahrhaftig der Geist Christi, der das Leben der orthodoxen Gläubigen zu allen Zeiten gestaltet.

 

Vom orthodoxen Ethos nicht zu trennen ist dann auch die sittliche Gestalt des orthodoxen Lebens. Auch die Sitten und Bräuche der einzelnen orthodoxen Völker wollen dem orthodoxen Ethos ein Gesicht verleihen. Jedoch sind sie dem Wandel unterworfen; sind Ausdruck der Erfordernisse der jeweiligen Lebensumstände und damit grundsätzlich veränderbar.

 

Weder die Sitten und Gebräuche im Griechenland der osmanischen Fremdherrschaft, noch die des Moskauer Zarentums im 15. und 16. Jahrhunderts sind das orthodoxe Ethos an sich, sondern immer nur zeitgebundene Ausdrucksformen von Teilen dieses orthodoxen Ethos. Diese Teilaspekte gestalten das Leben der Gläubigen zu gewissen Zeiten. Sie können auch heutzutage sinnvoll und wertvoll sein; aber können unter bestimmten Anforderungen auch verändert werden müssen.

 

Das Parameter hierbei ist, was dem orthodoxen Glaubensleben dient und was es eher verhindert oder gar zum Ritual veräußerlicht. Das orthodoxe Ethos ist in seinem Wesenskern unveränderlich, wie es ausgelegt und gelebt wird, ist aber den wechselnden Zeitläufen unterworfen. Sitten und Brauchtum sind deshalb nicht vor der Gefahr von Abweichungen und Irrungen geschützt. Sie bedürfen immer der Unterscheidung durch das Wirken des Heiligen Geistes in der Gemeinschaft der Kirche.

 

Insofern ist das orthodoxe Ethos auch der Maßstab, durch den sich das Leben der orthodoxen Gläubigen ununterbrochen im Heiligen Geist und in der Wahrheit Jesu Christi erneuert. Mit dem orthodoxen Ethos verbunden ist ebenfalls das geistlich-sittliche Leben der Gläubigen. Das geistlich-sittliche Leben speist sich aus dem Wirken der göttlichen Gnade in uns, dem gelebten Glauben und den guten Werken.

 

Das orthodoxe sittliche Leben ist die direkte ununterbrochene Fortführung der urchristlichen Lebensgestaltung. Die hl. Apostel verkündeten keine christliche Philosophie, sondern den orthodoxen Glauben als das Leben in Christus. Auf diesem Fundament haben die hl. Väter den Inhalt der christlichen Lebenshaltung und Gestaltung erklärt und entfaltet. Zu den wichtigsten Wesenszügen der orthodoxen sittlichen Lebensgestaltung gehören Glaube, Liebe, Demut und Güte. Die Grundkoordinaten der orthodoxen Lebenshaltung und Lebensgestaltung finden wir im Leben der orthodoxen Gläubigen von den Anfängen der Kirche bis heute.

 

Das Leben eines orthodoxen Christen soll sich durch seinen Christozentrismus (Leben in Christus), seine Katholizität (Sobornizität, Kirchlichkeit) und seine Ausrichtung auf das Erlangen des ewigen Lebens (Geistlichkeit) auszeichnen.

 

Der Herr Jesus Christus sagt uns: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Joh. 9: 5) und „Ihr seid das Salz der Erde. Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen? Es taugt zu nichts mehr, außer weggeworfen und von den Leuten zertreten zu werden. Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben. Man zündet auch nicht eine Leuchte an und stellt sie unter den Scheffel, sondern auf den Leuchter; dann leuchtet sie allen im Haus. So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (Matthäus 5: 13-16).

 

Das Leben eines Christen soll für seine Mitmenschen heilsam (dem Heil dienend) und ein Vorbild der Liebe und Güte sein. All unser christlich-sittliches Handeln hat darin seinen Orientierungspunkt und eigentlichen Zweck. Dies gilt sowohl in traditionell orthodoxen Gesellschaften wie auch in unserer pluralistischen Gesellschaft hier in Deutschland. Nicht in den Kommuniqués und Verlautbarungen der Theologen, sondern im alltäglichen Lebensvorbild der gläubigen und praktizierenden Christen liegt das wirkliche Potential; die eigentliche Prägekraft und moralische Autorität des Christentums in unserer heutigen Gesellschaft.

 

Priester Thomas Zmija

 

Das orthodoxe Ethos als von Christus gegebene Lebensweisheit

 

Wie lebt man als Christ in der Welt von heute so, dass es zum Heil und zur Heiligung beiträgt? Wie können die orthodoxen Gläubigen so am Leben der Kirche teilzunehmen, dass ihre innere Verwandlung zu Christusträgern geschieht? Wie können wir so in der Gemeinschaft mit Christus leben, dass unsere Heiligung sich vollziehen kann? Die Veränderung dazu findet statt durch das geistliche Leben, durch die Teilnahme an der Göttlichen Liturgie und den anderen Gottesdiensten der Kirche, durch den Empfang der Göttlichen Mysterien und durch das Gebet. Durch diese Art können wir orthodoxe Christen der Welt zeigen, wie man ein Leben führt in Jesus Christus.

 

Seit der Epoche der Aufklärung gibt es in der westlichen Welt einen weitverbreiten Irrtum über den christlichen Glauben. Man setzt in der Nachfolge Immanuel Kants den Glauben mit der Begründung für Moral gleich. Der Glaube ist nicht dazu da eine gesellschaftlich förderliche Moral zu begründen oder zu unterstützen, sondern der christliche Glaube ist vielmehr der Weg, eine alles bestimmende Beziehung des Menschen zu Gott zu schaffen. Nach orthodoxer Auffassung ist es dieser Glaube, diese Beziehung zum lebendigen Gott, dieses Leben in Christus, dass eine solche, alles verändernde, neu ausrichtende und alle prägende Kraft besitzt, die uns in der Kirche als dem mystischen Leib Christi auf Erden in das ewige Leben hinüberträgt. Der Glaube ist es, durch den die gesamte Lebenshaltung und Gestaltung eines orthodoxen Christen ihre Ausrichtung und Orientierung erhält. Das orthodoxe Ethos ist dabei die orthodoxe Lebenshaltung, aus der der orthodoxe Gläubige in das Gottgeschenkte Heil und die Gottgegebene Heiligung hineinwachsen kann.

 

Deshalb ist das geistlich-sittliche Leben des orthodoxen Christen auch nicht einfach auf eine Anzahl von „Geboten“ reduzierbar, die wir erfüllen müssen. Das Leben in Christus befreit uns von unserer Verhaftung an Sünden und Leidenschaften. Es befreit uns hin zum Ethos der Freiheit der Kinder Gottes (vgl.: Röm. 8: 21). Das christliche Ethos beinhaltet die Bundestafel, die Zehn Gebote, aber diese zehn Gebote finden wiederum ihre eigentliche Norm im Doppelgebot der Liebe: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Matth. 22: 37-39).

 

Das orthodoxe Ethos verkündet also gerade nicht eine „Moral“, die wir „erfüllen“ müssen (vgl.: Röm. 10:4), sondern es verkündet die Liebe: Die Liebe Gottes zu uns Menschen, auf die wir mit unserer Liebe, die sich im christlich sittlichen Leben, in seinen asketischen Bemühungen, in der Nächstenliebe, in der Geduld und in der Barmherzigkeit wiederum anschaubar macht.

 

„Die Liebe Christi drängt uns“ (vgl.: 2.Kor. 5: 14): Hierin liegt der Kern des orthodoxen Ethos begründet. Wenn wir uns also bemühen, gemäß dem orthodoxen Ethos zu leben, so ist das immer und zu aller erst ein Ausdruck unserer Liebe zu Christus. Das sittliche Leben des orthodoxen Christen ist deshalb nicht einfach das erfüllen moralischer Normen, nicht das Erfüllen mehrerer „Gebote“, die uns sagen, was wir „machen“ und besonders, was wir nicht „machen sollen", sondern vielmehr unser ganzheitliches Eintreten in das Leben mit dem Herrn Christus.

 

Gerade die aufklärerische Pseudomorphose des Glaubens zum gesellschaftlich nützlichen Moralkodex und Transformation der Kirche von der Arche des Heils zur Moralwächterin und Moralverkündigerin macht aus dem Heiland und Retter Jesus Christus, den zu unserem Heil und unserer Heilung menschgewordenen Sohnes Gottes, einen gestrengen Tugendwächter über das Leben der Menschen.

 

Von hier aus begründet sich auch die Empfindung, dass der christliche Glaube als Moral mit ihren Gesetzen den Menschen nur Zwänge auferlegt, ihre freie Entfaltung einschränkt, sie im Grunde daran hindert, das Leben in seiner vollen Intensivität zu leben, und sie ihrer Freiheiten und Möglichkeiten beraubt. Dieser Zwang lässt bei den zuerst Unzufriedenheit und dann Ablehnung entstehen. Dies wird dann zum Antrieb sich von der Kirche abzuwenden und vor der empfundenen Beschränkung zu fliehen. Wir erleben dies als Massenphänomen gerade bei vielen Menschen unserer Zeit.

 

Aber auch bei den praktizierenden Gläubigen kann die Pseudomorphose zu einer formalen, gesetzmäßigen Religiosität führt. Man lebt das kirchliche Leben nicht als eine Angelegenheit des Herzens, nicht als ein Leben mit Christus, nicht als der Weg zur Heiligkeit, sondern nur als eine formelle Anpassung, als rein veräußerlichte Teilnahme am kirchlichen Leben. Der Gläubige lebt dann nicht in Übereinstimmung mit dem orthodoxen Ethos als einer Lebenshaltung und Lebensgestaltung in Übereinstimmung mit dem sich immer weiter entfaltenden und vertiefenden Leben in Christus, sondern als mehr oder weniger rein äußerliche Erfüllung der Gebote und der kirchlichen Frömmigkeit, ohne dass Herz und Seele des Menschen irgendeine Veränderung erfahren würden.

 

Eine derartige Veräußerlichung des orthodoxen Glaubens führt meist zu Zelotismus und Fanatismus, der dem orthodoxen Ethos als dem Ethos der Liebe wesensfremd ist. Die dieser Verirrung Anheimgefallenen wähnen, dass sie „alle Gebote“ erfüllen und deshalb gerecht seien. Damit gleichen sie den Pharisäern zur Zeit des Herrn auf Erden in ihrem Hochmut und verachtungsvollen Urteil, das sie anderen, „den Zöllnern und Sündern“ gegenüber anwenden. Sie vergessen, dass der Herr sie nach den gleichen Maßstäben beim Jüngsten Gericht richten wird, mit dem sie ihre schwachen Mitmenschen gerichtet und verurteilt haben (vgl.: Matth. 7: 2).

 

Das orthodoxe Ethos beruft uns in das Licht der Liebe Gottes, zu seinem Erbarmen und zur Freiheit der Kinder Gottes. Gott ist die Liebe. Er will unsere Rettung. Jedoch fürchten einige Gläubige Gott mehr, als dass sie bereit sind, Ihm als ihrem himmlischen liebenden Vater zu erkennen. Sie finden dann in der Gesetzesbefolgung eine gewisse Selbstberuhigung. Sie sind zufrieden, dass sie „die Gebote und Regel der Kirche befolgt haben“. Sie bleiben aber bei einer Moral des „Nein, nicht getan“ stecken.

 

Das orthodoxe Ethos will uns aber nicht zur Moral, sondern zu einem Leben in der Heiligkeit hinführen. Demgegenüber hinterlässt die gesetzmäßige Auffassung vom orthodoxen Glauben in diesen Gläubigen auch eine beständige Qual des Unerfüllten. Dies Leiden eines skrupulösen Gewissens äußert sich im Zweifel an der Liebe und dem Vergebungswillens Gottes. Gott wird nicht als der liebende Vater, Christus nicht als der Heiland und Erlöser und der Heilige Geist nicht als der Tröster wahrgenommen. Der Dreieinige Gott ist in ihrer Vorstellung ein zürnender Richter, der niemals zufrieden gestellt werden kann. Dies äußert sich dann in der hl. Beichte und im Empfinden andauernder Unwürdigkeit und im Zweifel an der Vergebung Gottes und es hindert dann auch so empfindende Gläubigen daran, regelmäßig zur hl. Kommunion zu gehen.

 

Der orthodoxe Glaube hingegen ist nicht Gesetz und Unterdrückung, sondern vielmehr Freiheit und Leben. Er ist die Begegnung mit der Liebe Gottes, die uns heilt und erlöst. Der hl. Porphyrios von Kavsokalyvia sagt: „Das Leben ohne Christus ist nicht Leben. Er ist unser Freund. Er ist unser Bruder. Er ist jedwedes Gute und Schöne. Er ist alles und Er ruft uns mit lauter Stimme zu: „Ihr seid meine Freunde, Menschenkinder! Begreift ihr es nicht? Ich halte nicht die Hölle in meiner Hand! Ich drohe euch nicht! Ich liebe euch! Ich will, dass ihr euch mit Mir des Lebens erfreut!“

 

Deshalb ist der Geist des orthodoxen Ethos niemals gesetzmäßige Moral, weil sich das Leben nie in Formen unpersönlicher Gesetze gießen lässt und weil das „Gesetz“ nicht alle Fragen des Lebens beantworten kann. In allen Fragen der Seelsorge hat die Oikonomia immer den Vorrang vor der Akribia, weil Gott den Menschen aus Sünde und Schuld erlösen will, weil Er nicht den Tod des Sünders will, sondern, dass er umkehrt und lebt (vgl.: Hes. 18: 23).

 

Das orthodoxe Ethos ist eine Lebenshaltung der Liebe und Barmherzigkeit. Sein Geist ist ein Geist des neuen Lebens in Christus. Es ist das Wirken des Heiligen Geistes, Der die orthodoxe Kirche und ihren Ethos erfüllt, der uns christusförmig werden lässt, uns in lebendige Christusträger umwandelt.

 

Das orthodoxe Ethos ist tatsächlich keine moralische Summe von Geboten und Verboten. Es ist vor allem ein Ethos des Lebens, des Lebens in Christus. über den der hl. Johannes Chrysostomus in seiner Osterpredigt sagt:

 

„Wer fromm und gottesfürchtig ist, soll sich an diesem schönen und herrlichen Fest erfreuen. Wer ein getreuer Knecht ist, gehe fröhlich ein in die Freude seines Herrn. Wer sich im Fasten verzehrt hat, empfange jetzt seinen Denar. Wer von der ersten Stunde an gearbeitet hat, empfange heute seinen gerechten Lohn. Wer um die dritte Stunde gekommen ist, soll dankbar feiern. Wer um die sechste Stunde gekommen ist, soll keine Zweifel hegen, er wird nichts einbüßen. Wenn jemand bis zur neunten Stunde säumte, soll er ohne Zaudern und Furcht herzutreten. Und wer erst zur elften Stunde gekommen ist, fürchte sich nicht ob seines späten Kommens. Denn der Herr ist großzügig, Er nimmt den Letzten wie den Ersten an. Er lässt den Arbeiter der elften Stunde zur Ruhe eingehen ebenso wie den, der von der ersten Stunde an gearbeitet hat. Mit dem Letzten hat Er Nachsicht, für den Ersten trägt Er Sorge. Jenem gibt Er, und diesem schenkt Er. Die Werke nimmt Er an und der gute Wille ist Ihm lieb. Die Tat ehrt Er, und die Bereitschaft lobt Er. Gehet also alle ein in die Freude eures Herrn! Ihr Ersten und ihr Letzten, empfangt euren Lohn! Ihr Reichen und ihr Armen, jubelt miteinander! Ihr Enthaltsamen und ihr Sorglosen, ehrt diesen Tag! Die ihr gefastet habt und die ihr nicht gefastet habt, freut euch heute! Der Tisch ist gedeckt, tretet alle herzu und genießt! Das gemästete Kalb ist groß, niemand gehe hungrig hinaus! Freut euch alle am Gastmahl des Glaubens! Freut euch alle am Reichtum Seiner Güte! Niemand beklage seine Armut, denn erschienen ist das Reich für alle! Niemand trauere ob seiner Sünden, denn Vergebung ist aus dem Grabe aufgeleuchtet! Niemand fürchte den Tod, denn der Tod des Erlösers hat uns frei gemacht! Er hat den Tod vernichtet, von dem Er umfangen war.

 

Er hat der Hölle ihre Beute weggenommen! Er, der zur Hölle hinabfuhr, ließ sie Bitterkeit erfahren, als sie von Seinem Fleisch kostete! So hatte es Jesaja vorausgesagt: „Die Hölle ward voll Bitterkeit, als sie Dir dort unten begegnete!“ Sie war voll Bitterkeit, denn sie wurde überwunden! Sie war voll Bitterkeit, denn sie wurde verspottet! Sie war voll Bitterkeit, denn sie wurde tödlich besiegt! Sie war voll Bitterkeit, denn sie wurde gestürzt! Sie war voll Bitterkeit, denn sie wurde gebändigt! Die Hölle nahm einen Leib und stieß auf Gott! Sie nahm Irdisches und traf auf Himmlisches! Sie nahm, was sie sah, und kam zu Fall durch das, was sie nicht sah! Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? Christus ist auferstanden, und du bist niedergeworfen! Christus ist auferstanden, und die Dämonen sind gefallen! Christus ist auferstanden, und es freuen sich die Engel! Christus ist auferstanden, und das Leben waltet! Christus ist auferstanden, und kein Toter ist mehr im Grabe! Denn Christus ist zum Erstling der Entschlafenen geworden, da Er von den Toten auferstand. Ihm gebührt Lob und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit“.

 

Im Mittelpunkt des orthodoxen Ethos befindet sich darum nicht die „Bundestafel der Gebote“, sondern vielmehr der Herr und Erlöser Jesus Christus, des zu unserem Heil menschgewordenen Gottessohnes, mit seiner Sanftmut und Demut.

 

Dieser Christozentrismus ist der wesenhafte Grundzug des gesamten orthodoxen Ethos. Dieses orthodoxe Ethos ist der Lebensgeist der Kirche, die Lebenshaltung in Christo. Diese orthodoxe sittliche Lebenshaltung und Lebensgestaltung ist die Anteilnahme an der Heiligkeit Christi im Leben der orthodoxen Gläubigen. Jesus Christus, der Eingeborene Sohn Gottes, der eine menschliche Natur zu unserem Heil in allem außer der Sünde angenommen hat, Er allein ist die vollkommene Verkörperung der Heiligkeit. Er ist die personifizierte Güte und Barmherzigkeit. In Seiner Person entdecken wir ebenfalls die Fülle des christlichen Ethos. Als der Menschensohn ist Er das höchste sittliche Vorbild, als der Gottessohn Stifter, Geber und Verkündiger des christlichen Ethos.

 

Mit Seiner Person - und nach orthodoxer Überzeugung nicht etwa nur in Seiner Verkündigung und Lehre – stellt uns der Erlöser die Heiligkeit als das christlich-sittliche Ideal vor Augen, wenn Er sagt: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ (Matth. 5: 48) und: „Wer mich sieht, der sieht den Vater“ (Joh. 14: 9).

 

Ist die gesetzmäßige Moral eher eine Schranke, die die Menschen vom Glauben und der Kirche abschreckt, so bedeutet es sich Christus anzuschließen an Ihn zu glauben als dem Herrn, Gott und Erlöser, wie wir es bei unserer hl. Taufe bekannt haben. Lasst uns also in die vollkommene Hingabe an Ihn als dem Heiland und damit in das Leben mit Ihm einzutreten!

 

Wenn wir uns Christus anschließen, wenn wir in der hl. Taufe mit Seiner menschlichen Natur überkleidet wurden, so bedeutet die Sittlichkeit nach der wir streben nicht das Verfolgen eines abstrakten sittlichen Ideals, sondern vielmehr ein ganz konkretes und reales Christus-Ähnlich-Werden, das die hl. Väter als Vergöttlichung bezeichnen.

 

Wie die Vollkommenheit des himmlischen Vaters auch kein abstraktes Ideal ist, sondern eine Wirklichkeit der Liebe, in die wir durch Christus einzutreten eingeladen sind (vgl.: Matth. 5: 45). Gott der Vater ist für die Augen der Menschen nicht sichtbar. Zwar äußert sich Seine Majestät und Vollkommenheit im Spiegel der Schönheit der Schöpfung, doch hat Seine Majestät und Vollkommenheit immer auch einen bleibend unerkennbaren Charakter. Es ist deshalb die Person des Herrn und Gottes und Erretters Jesu Christi, Der zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch ist, an der wir erkennen können, zu welcher Fülle der Heiligkeit wir alle berufen sind. Er ist die Person, in Der wir das Ideal des christlichen Ethos verwirklicht schauen dürfen.

 

Die Sittlichkeit in dieser Welt hängt deshalb auch davon ab, inwieweit wir orthodoxen Christen als durch das Wirken der göttlichen Gnade an uns verwandelte Christusträger leben. Es geht also um unser aller zur Person gewordenes Zeugnis für Christus, in Worten wie in Taten. Nichts gewinnt, nichts begeistert, nichts verändert die Menschen mit denen wir zusammenleben mehr, als eine wahrhaft christliche Person, durch welche die Fülle des orthodoxen Ethos zum anschaubaren Leben erweckt wird.

 

Es ist gerade eine der Grundüberzeugungen der orthodoxen Kirche, dass, da die Kirche der mystische Leib Christi auf Erden ist, in den wir Gläubige durch den Empfang der hl. Kommunion eingegliedert sind, auch das sittliche christliche Ideal persönlich erfahrbar wird in der Heiligung der Gläubigen.

 

Durch die Teilhabe am wahren Leib und kostbaren Blut Christi werden wir orthodoxen Gläubigen auch zum mystischen Leib Christi auf Erden zusammengefügt, dessen Haupt wiederum Christus selbst ist (vgl.: Kol. 1:  24).

 

Durch die hl. Myronsalbung hat der Heilige Geist in unserem Herzen Wohnung genommen. Er schmückt uns mit seinen Gnadengaben und Charismen, die auch das sittliche Lebensprinzip eines Christen beständig erhält und erneuert.

 

Das orthodoxe Ethos als Gabe des Heiligen Geistes besitzt in der Person, im Leben Jesu Christi die unübertroffene Verkörperung der göttlichen Vollkommenheit, des christlich-sittlichen Ideals. Aber diese göttliche Vollkommenheit erscheint uns nicht als eine Philosophie, Lehre oder als ein heiliges Buch, sondern in einer menschlichen Person, also in Gestalt des fleischgewordenen Sohn Gottes Jesus Christus.

 

Darum gilt: Wer den Sohn sieht, der sieht den Vater und wer den Sohn sieht, der erkennt den Vater (vgl.: Joh. 12: 45; 14: 7-9). Das Abbild der Vollkommenheit („so wie der Vater vollkommen ist“), wird vor unseren Augen zur menschlichen Person, verkörperlicht sich durch Den, Der „ein Mensch, uns gleich geworden ist" und Der unter uns Menschen gelebt hat. Dies ist das große Wunder, dass Gott Mensch geworden ist: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns ... voller Gnade und Wahrheit" (Joh 1: 14).

 

Christi menschliche Natur ist uns in allem gleich außer der Sünde (vgl.: Hebr. 4: 15). Das reine Licht der Heiligkeit erstrahlt folglich in Ihm, ohne die Gebrochenheit von Sünde und Schuld. Hat jeder Mensch in Folge der ersten Sünde unserer Stammeltern Adam und Eva die Elemente Selbstsucht und Egoismus in sich, so ist der Herr Jesus Christus die grenzenlose, die selbstlose Liebe bis zum Opfer. Die reine Liebe ohne jeden Schatten der Selbstsucht strahlt aus Ihm hervor. Gibt es im Herzen eines jeden Menschen Geltungssucht und Hochmut, so ist der Herr Jesus Christus die Demut in Person bis zum Tode am Kreuz (vgl.: Phil. 2: 7 f.). So ist der Herr Jesus Christus nicht einfach nur das Vorbild der christlichen Sittlichkeit; Er ist in Seiner sündlosen Person rein, vollkommen und allheilig. Im Aufblick zu Christus erkennen wir den Vollkommenen christlichen Ethos, die Gesamtheit und Fülle aller Tugenden. Er ist die menschgewordene göttliche Allheiligkeit. Im Aufblick zu Ihm erkennen wir nicht einfach nur einen vollkommenen Menschen, sondern als der Gott-Mensch will Er alle Menschen zur Gemeinschaft mit Gott, der Vergöttlichung (Theosis) führen.

 

Die Vergöttlichung ist das Ziel aller Sittlichkeit. Es geht im orthodoxen Ethos nicht um ein sittliches Gutsein, sondern um den gnadengewirkten Erwerb der Heiligkeit. Rechtschaffenheit und Sittlichkeit beschreiben den christlichen Lebensweg, sind aber nur asketische Mittel und nicht das Ziel des menschlichen Lebens.

 

Dieses Ziel ist die Heiligkeit als Liebes- und Lebensgemeinschaft mit Gott, die uns zum ewigen Leben hinführt. Das orthodoxe Ethos strebt also nach der Teilhabe am Leben in Christus. Er strebt nach der Teilhabe an der Allgüte Gottes, was uns nach Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Mitgefühl mit unseren Mitmenschen und den übrigen Mitgeschöpfen der Schöpfung streben lässt.

 

Es ist ein Irrtum, dass die Tiere wie auch die Dinge der Schöpfung egoistisch vereinnahmt werden dürften. Der hl. Paissios vom hl. Berg Athos sagt darüber: „Was Gott für den Menschen, das ist der Mensch für die Tiere, Sie bitten um seine Hilfe, sein Mitgefühl, seine Liebe“.

 

Unser Herr und Erlöser Jesus Christus ist auch in Seiner Allheiligkeit das Vorabbild unserer Sittlichkeit. Wir sind aufgerufen, auf dem Weg der Verähnlichung an Christus lebendige Ikonen des Herrn zu werden. Er fordert uns in Seinem hl. Evangelium auf, Ihm nach zu folgen, uns selbst zu verleugnen und Seinem Vorbild nachzugehen (vgl.: Matth. 10: 38; 16: 024). Er sagt uns: „Lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig“ (vgl.: Matth. 11: 29).

 

Die christliche Sittlichkeit ist immer personal und niemals ideologisch-abstrakt. Der Herr Jesus Christus spricht gerade nicht von Gesetz, sondern von Nachahmung und Beispiel: „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, dass ihr tut, wie ich euch getan habe" (Joh 13: 15). Christus macht deutlich, dass orthodox zu sein bedeutet, Seinem Beispiel der bedingungslosen und voraussetzungslosen Liebe zu folgen.

 

Die höchste aller christlichen Tugenden ist die Liebe, die sich in der Sanftmut und Demut ausdrückt. Hierin unterscheidet sich das orthodoxe Ethos von jeder philosophischen oder ideologischen Moralität.

 

Das orthodoxe Ethos ist erfüllt vom bewussten Respekt für die Würde jeder menschlichen Person. Dieser Respekt zeigt sich nach dem hl. Johannes Chrysostomos vor allem in der Liebe für den Nächsten, und selbst für den Feind, nicht nur durch Worte, sondern durch Taten.

 

Diese Nächstenliebe ist nicht einfach ein Gebot des Herrn (vgl.: Matth. 22: 34-40), sondern sie ist im vollkommenen Vorbild der Person Jesu Christi verkörpert. Darum ist das Gebot des Alten Testamentes: „Du sollst Gott und deinen Nächsten lieben wie dich selbst", vollendet und ein neues Gebot geworden, in der Tatsache, dass der Herr Jesus Christus selbst das Abbild der vollkommenen Liebe Gottes für uns geworden ist.

 

Das Wort des Herrn: „Ihr sollt euch lieben“ ist nicht mehr ein sittliches Gesetz, sondern es ist in der Person Jesu Christi anschaubar geworden: „So wie ich euch geliebt habe“ (Joh. 13: 34). Christus sagt uns: Ihr sehet doch, wie ich euch geliebt habe, wie ich den Menschen geliebt habe, und so – nach meinem Beispiel – sollt auch ihr einander lieben. Die Liebe Jesu Christi dem Menschen gegenüber ist deshalb unser höchstes sittliche Vorbild und der vollkommene Prüfstein für die Tiefe unserer Nächstenliebe (vgl.: Joh. 13: 34).

 

Diesen Aufruf des Erlösers zum Eifer in der Liebe haben die hl. Apostel genau befolgt. Sie sind darin Nachahmer Jesu Christi geworden und sie fordern auch die Gläubigen auf, ebenfalls Seine Nachahmer zu werden. Hierin liegt der Ursprung des orthodoxen Ethos: wir sollen lieben, wie Christus geliebt hat; wir sollen vergeben, wie Christus vergeben hat; wir sollen dienen, wie Christus gedient hat; wir sollen uns für das Wohl des Nächsten hingeben, wie sich Christus für uns geopfert hat; wir sollen demütig sein, wie Er demütig war; wir sollen heilig sein, wie er heilig war … (vgl.: 1. Kor. 11: 1; Eph. 5: 1 f.; Kol. 3: 13; Röm. 15: 2 f.; Phil. 2: 5-8; 1. Joh. 2: 6; 3: 7).

 

Die Heiligen aller Zeiten befolgen diesen Ruf des Herrn und Erlösers Jesus Christus, wie ihn die hl. heiligen Apostel befolgt haben. Sie folgen dem orthodoxen Ethos als einem Leben in Seiner Nachfolge. Insofern muss auch das christliche Ethos in Freiheit angenommen werden. Die Kirche verkündet die Freiheit der Kinder Gottes. Sie ruft die Menschen zum Heil, aber sie zwingt niemanden zur Annahme des Heils.

 

So lädt die orthodoxe Kirche uns alle ein, dem christliches Lebensmodell, das auf dem Evangelium und seiner Lehre gründet ist, zu folgen. Dem Leben nach dem orthodoxen Ethos kann man nur man freiwillig nachfolgen. Deshalb spricht die Kirche zu aller erst zu ihren gläubigen Kindern. Als orthodoxe Christen rufen wir zum Weg des gelingenden Lebens durch den Glauben, aber wir zwingen niemanden.

 

In einer freiheitlichen und pluralistischen Gesellschaft können wir das auch gar nicht. Eine von der orthodoxen Sittlichkeit abweichende Lebensweise wird von der orthodoxen Kirche respektiert, aber sie stellt auch unmissverständlich klar: Wie Du lebst, stimmt nicht mit dem Evangelium und dem Glauben der Kirche überein. Diese abweichenden Lebensweisen können nicht als mit der orthodoxen Vorstellung von der Heiligkeit gleichrangig betrachtet werden.

 

Jesu Christi vollkommenes Vorbild strahlt über den Lauf der Jahrhunderte in der Geschichte der Kirche und zieht die Gläubigen, die Ihm ähnlich werden wollen, die ernsthaft danach streben, Seine Nachahmer, also Seine Jünger, zu sein an. Das orthodoxe Ethos ist für die Gläubigen stehts feste Grundlage des christlich-sittlichen Lebens geblieben. Uns allen gelten bis heute die Worte des hl. Apostels und Evangelisten Johannes: „Allen aber, die ihn aufnahmen, gab Er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an Seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind“ (Joh. 1 : 12).

 

So liegt dem Leben nach dem orthodoxen Ethos unsere christliche sittlichen Begeisterung, jedoch keine Gesetzesmoral, keine Summe von Geboten; kein abstraktes philosophisches Ideal, sondern vielmehr die Person und das Leben Jesu Christi, der mit Seinen Gläubigen bleiben wird bis ans Ende der Zeit zugrunde.

 

Dies bedeutet, dass die Heiligkeit Jesu Christi nicht nur als Vorbild zum Nachahmen vor uns steht, sondern dass Seine Heiligkeit sich vielmehr über uns ergießt, uns heiligt und uns mit Christus überkleidet (Gal. 3: 27). Die Heiligkeit Christi reinigt uns von der Sünde, sie lässt uns heilig werden, sie macht uns zu einem neuen Geschöpf in Christus.

 

Es sind gerade die hl. Sakramente, die in uns eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus schenken, die uns aber auch zugleich zur Gemeinschaft der Kirche unter ihrem Haupt Jesus Christus vereinigen. Sie heiligen uns, damit wir auch beginnen, heilig zu leben. Sie lassen die Kraft der Gnade Gottes in uns wirksam werden und verwandeln uns in Christusträger und Zeugen Seiner Herrlichkeit.

 

Durch unsere Gebete und durch unsere guten Werke vertiefen wir auch unsere Gemeinschaft mit Jesus Christus, und Seine Heiligkeit durchdringt uns dann immer mehr. Der Gläubige erhält dadurch sittliche und spirituelle Kraft. Er wird durch diese Gemeinschaft mit Christus erneuert.

 

Was menschlich unmöglich ist, also gut und sittsam, also in „Frömmigkeit und Lauterkeit“ zu leben, wird in Christo möglich. Die Ähnlichkeit mit Christus ist allein durch die sittlichen Kräfte des Menschen unmöglich. Sie wird aber durch die Erneuerung der ganzen menschlichen Person in Christus möglich, auf die der Mensch durch Sein Zusammenwirken mit der göttlichen Gnade antwortet.

 

Es ist also nicht einfach ein fremdes „moralisches Bild“ aus anderen Zeiten, das Christus uns von außen aufdrücken will. Es ist vielmehr das bleibende sittliche Abbild Seiner Selbst, das Er auf die Leinwand unserer Seele einprägen will. Es ist der Herr Jesus Christus selbst, Der uns als ewig lebendige Person nach Seinem Ebenbild gestaltet und auf die Gestalt Seiner Vollkommenheit und Heiligkeit hin wachsen lassen will.

 

Priester Thomas Zmija

 

Die Menschwerdung Gottes und die Vergöttlichung des Menschen

 

Vergöttlichung (Θέωσις = Theosis) ist der zentrale Begriff der orthodoxen Vätertradition, um über das Heil und die Heiligung des Menschen zu sprechen. Kurz gesagt, meint der theologische Begriff Vergöttlichung die Vereinigung des Christen mit Gott durch das Wirken der Göttlichen Gnade.

 

Einfach gesagt, meint die Vergöttlichung die gnadenhafte Teilhabe des Menschen am innergöttlichen Leben. Die Vergöttlichung basiert auf der Menschwerdung des Eingeborenen Sohnes Gottes, des Logos. Der hl. Athanasius hat das in dem kurzen Satz zusammenfasst: „Denn Er (der Logos) wurde Mensch, damit wir vergöttlicht würden“ (vgl.: Athanasius von Alexandrien; Über die Menschwerdung des Logos). Die Vergöttlichung meint jedoch keine Wesensverwandlung des Menschen in das göttliche Sein, den dies ist wegen des transzendenten Charakters des Göttlichen Wesens vollkommen unmöglich, sondern die höchstmögliche geschöpfliche Anteilnahme an den ungeschaffenen Energien Gottes.

 

Die Vergöttlichung des Menschen ist also gleichbedeutend mit seiner Heiligung, also der Durchdringung des ganzen menschlichen Wesens mit der Gnade Gottes mittels der ungeschaffenen göttlichen Energien, die uns mit Gott vereinen, allerdings nicht „der Natur nach“, sondern „der Gnade nach“. Wir werden im Prozess der Vergöttlichung vom Band der göttlichen Liebe umschlungen und in sie hineingezogen wird, so dass sich an unserem Wesen ein Verwandlung in zum Abbild der vergöttlichten menschlichen Natur Jesu Christi ereignet.“

 

„Das Wort ist Fleisch geworden, um uns Anteil an der göttlichen Natur zu geben“ (2. Petr. 1:4).  „Dazu ist das Wort Gottes Mensch geworden und der Sohn Gottes zum Menschensohn, damit der Mensch das Wort in sich aufnehme und, an Kindesstatt angenommen, zum Sohn Gottes werde“ (hl. Irenäus, haer. 3,19,1). Das Wort Gottes „wurde Mensch, damit wir vergöttlicht würden“ (hl. Athanasius, inc. 54,3). Die möglichen Zitate ließen sich hier noch weiter ergänzen, um die tiefe Verwurzelung des Gedankens der Vergöttlichung in der Heiligen Schrift und der Vätertradition aufzuzeigen.

 

Auf dem Weg zur Vergöttlichung werden wir, an unseren Sünden erkrankten und durch unsere Leidenschaften in unserem Innersten verletzten, Menschen durch die das Wirken der Gnade Gottes schrittweise auf dem Weg zur Heilung geführt. Dieser Weg umfasst Buße (μετάνοια/ Metanoia) und Reinigung (κάθαρσις/ Katharis) von den Leidenschaften und Erleuchtung (φωτισις/ Photisis) durch den Empfang der hl. Sakramente. Durch das Wirken von Gnade Gottes werden wir Schrittweise zur Heiligung, also zur Wiederherstellung des Ebenbildes Gottes in uns (vgl.: 1.Kor 11:7) geführt.

 

Vergöttlichung ist also gnadengewirkte Wiederherstellung des Menschen in das Ebenbild Gottes hinein durch seine Teilhabe am Leben Gottes. Die Teilhabe an der göttlichen Liebe lässt an unserem Wesen wie ein Medikament, wie ein heilender Balsam eine wiederherstellende Verwandlung geschehen, eine Verklärung unserer durch Sünden und Leidenschaften gefallenen und gebrochenen menschlichen Natur hinein in die vergöttlichte menschliche Natur Jesu Christi.

 

Unsere Erlösung findet also im mystischen Leib Christi auf Erden, der hl. Kirche, statt. Niemand kann für sich allein erlöst und gerettet werden. Heil und Erlösung, Errettung und Heiligung erfahren wir durch und in der hl. Kirche. Nicht aus exklusivistischen, sondern vielmehr aus soteriologischem Denken heraus sagt der hl. Cyprian, dass es außerhalb der hl. Kirche kein Heil geben kann.

 

Es ist gerade der durch Christus selbst gegebene Auftrag an die Kirche, die durch Sünden und Leidenschaften verwundeten Seelen der Menschen zu pflegen und vermittels der Begegnung mit dem Heiland durch Gebet und Empfang der hl. Sakramente zur Erlösung hinzuführen. Die Sakramente wirken aber nicht magisch, mechanisch oder automatisch an uns, sondern nur in dem Maß und Umfang, in dem wir bereit sind, uns dem Wirken der göttlichen Gnade zu öffnen und ein Leben mit und in Christus zu führen.

 

Die Heiligung bedeutet, dass wir Menschen durch das Licht der Liebe Gottes bereit werden in schöpfungsgemäßer Weise zu leben, also gemäß unseres von Gott gut erschaffenen Wesens, das zwar in die Sünde gefallen und verdunkelt worden ist, aber von Jesus Christus Heilstaten erneuert worden ist.

 

Der heilige, vergöttlichte Mensch ist in allem der menschlichen Natur Christi gleich. Der hl. Apostel Paulus sagt darüber: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal. 2:20).

 

Der heilige, vergöttlichte Mensch lebt in vollkommener Übereinstimmung mit Gott und Seinem Willen. Er hat Christi Sinn angenommen; er ist also eins und gleichgesinnt mit Christus (vgl. 1. Kor. 2:16; Phil. 2:20).

 

Die Heiligung, die Vergöttlichung des Menschen, ist im Grunde nichts anderes als unsere gnadengewirkte Heimkehr zum wahren Menschsein, die Rückkehr des verlorenen Sohnes ins Vaterhaus, von der Christus in Seinem hl. Evangelium gesprochen hat.

 

Aber die Vergöttlichung ist nicht einfach nur eine gnadengewirkte Rückkehr des Menschen auf den Zustand vor dem Sündenfall. Denn durch das Kommen und Erlösungswirken Christi ereignete sich zugleich die Vollendung der ewigen Bestimmung des Menschen durch seine gnadengewirkte Vereinigung mit Gott. Die Heiligung ist freilich ein geistlicher Prozess, der unser ganzes Leben lang andauert wird und den Menschen in seiner komplexen Wirklichkeit von Leib, Seele und Geist betrifft (vgl.: 1. Thess. 5:23).

 

Im Prozess der Heiligung betont die Orthodoxe Kirche die Bedeutung der menschlichen Freiheit in der Aneignung des von Gott gewirkten und geschenkten Heils. Es geht dabei um das Zusammenwirken des Menschen mit Gott bzw. die Synergie zwischen dem souveränen Wirken der Gnade an uns und unserer Mitwirkung an dieser Gnade.

 

Nur in der Kirche können wir die Erleuchtung (Photisis) erfahren, die mit unserer hl. Taufe (Photismos) begonnen hat. In der hl. Taufe wurden wir mit Christi vergöttlichter menschlicher Natur überkleidet und erhielten sakramentalen Anteil an Seinem Tod und Seiner Auferstehung. In der hl. Myronsalbung wurde uns das Siegel des Heiligen Geistes geschenkt, das uns befähigt die Taufgnade in unserem Leben bis hin zum Ziel der Vergöttlichung wirksam werden zu lassen. Stärkung und Wiederaufrichtung auf unserem Weg zum Heil und zur Heiligung schenkt uns der wiederholte Empfang der hl. Beichte und der regelmäßige Empfang der hl. Kommunion. Die Wiederherstellung der paradiesischen Ebenbildlichkeit mit Gott, die Vergöttlichung, empfangen wir durch den Empfang der hl. Kommunion (hl. Eucharistie), wenn wir Christus im Tempel unseres Leibes (vgl. 1. Kor 6:19) aufnehmen.

 

Aber auf unserem Weg zur seelischen Heilung, zur Aneignung des Heils und zum Erreichen der Heiligkeit erfahren wir immer wieder Rückschläge, denn nichts hindert unsere geistliche Entwicklung mehr als Eigenliebe, Egoismus und Stolz auf das Erreichte, verbunden mit der Überzeugung, es sei der eigene „Verdienst“ und nicht das Geschenk der göttlichen Gnade.

 

Wer sich am Ziel wähnt, wird aber von Gott immer wieder auf den Anfang zurückversetzt, um uns die heilbringende Demut zu lehren. Fall und Aufstehen unseres geistigen Menschen wiederholt sich meist ein ganzes Leben lang. Hierbei hilft uns dann der Blick auf die Heiligen Gottes. Die Heiligen waren keine Menschen, in deren Leben es etwa keine Sünde gegeben hätte. Doch wenn die Heiligen durch die Sünde zu Fall kamen, so haben sie sofort bereut und haben sogleich wieder damit begonnen, Christus mit ihrem ganzen Leben und jeder Faser ihres Herzens nachzufolgen hin auf das Ziel unseres Lebens, der Vergöttlichung, also zur Wiedererlangung des durch den Sündenfall verlorenen Ebenbildlichkeit Gottes.

 

Der Mensch ist berufen, die Heiligkeit, die Vollkommenheit als Ebenbild Gottes, zu erreichen. Der hl. Apostel Paules sagt: „Das ist der Wille Gottes - eure Heiligung" (1. Thess 4:3), weil Gott selbst heilig ist: „Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig" (Lev. 19:2). Die Heiligkeit als Gemeinschaft mit Gott ist also das Ziel unseres Lebens als Christen. „Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ (Matth. 5:48). Diese Vollkommenheit erlangt der Mensch auf dem Weg vom Gleichnis und Abbild Gottes hin zu Seinem Ebenbild in Christus (vgl.: Röm. 8:29).

 

Die orthodoxe Lehre von der Vergöttlichung drückt die christliche Erfahrung aus, die der hl. Apostel Paulus mit den Worten „in Christus sein“ umschreibt. Die Formulierung „in Christus sein“ wird direkt 83 Mal und indirekt weitere 47 Mal vom hl. Apostel Paulus in seinen Briefen verwendet.

 

Der Gedanke der Vergöttlichung als der Weg des Menschen zur gnadenhaften Verwandlung des Menschen hin zum Christusträger und Hausgenossen der Allheiligen Dreieinheit wird vom hl. Apostel Paulus in vielfacher Weise umschrieben: „Kinder und Erben Gottes" (Röm 8:14), „Leben Christi im Menschen" (Gal 4:19), „erfüllt werden mit der Fülle Gottes“ (Eph. 3:17) und mit dem Hinweis in Eph 2:6, dass „wir mit Christus in den Himmel gehoben sind.“ Der hl. Apostel Petrus fasst all diese Wendungen in dem Satz zusammen: „… auf dass ihr an der göttlichen Natur (gnadenhaft) Anteil erlangt.“ (2. Petr. 1:4). In einem Gesang des Weihnachtsgottesdienstes heißt es deshalb: „Vollkommen unsere Armut teilend hast Du unsere irdische Natur vergöttlicht durch Dein Eingehen in sie und Teilnehmen an ihr."

 

Der hl. Apostel und Evangelist Johannes bezeugt diese gnadenhafte Leben in Christus als eine Lebensgemeinschaft des Menschen mit Christus, dem Sohn Gottes, und durch Ihn auch mit dem Vater im Heiligen Geist (vgl.: Joh 14:20; 17:21-23). Dieses Begnadetsein des Menschen führt den Menschen wiederum hin zum „Bleiben in der Liebe Christi“ (vgl.: 1. Joh 4:10), das seinen erkennbaren Ausdruck im Gebet findet.

 

Der Begriff der Vergöttlichung will uns die Erfahrung der orthodoxen Heiligen vor Augen halten: Das Heil und die Heiligung aus Gnade. Die hl. Väter bringen mit dem Begriff der Vergöttlichung zum Ausdruck, dass die Vergebung der Schuld nicht nur den Menschen in sich heilt (Rechtfertigung), sondern vor allem den Menschen wieder in eine vollkommen harmonische Beziehung zu seinem Schöpfer (Vergöttlichung) hineinversetzt. Heiligkeit ist deshalb nicht nur irgendeine Gabe Gottes an den Gläubigen, sondern sie ist vielmehr der Heilige Geist selbst, „der ausgegossen ist in unsere Herzen" (Röm. 5:5).

 

Die Vergöttlichung verbindet das Heil und die Heiligung des Menschen mit der Heiligkeit Gottes, dem Heilswerk Jesu Christi und der heilbringenden Sendung des Heiligen Geistes, denn „die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten" (Tit 2:11).

 

Der hl. Irenäus von Lyon sagt über die Vergöttlichung: „Wegen Seiner unendlichen Liebe wurde Jesus Christus das, was wir sind, um uns zu dem zu vervollkommnen, was Er selber ist.“ (Irenäus v. Lyon; Adversus haereses, III, 22,3). Die hl. Väter wie Irenäus von Lyon, Athanasius und Kyrill von Alexandrien oder Johannes von Damaskus sprechen ausführlich über diesen Weg zur Vergöttlichung. Der hl. Athanasius sagt uns, dass „Gott Mensch geworden ist, damit der Mensch Gott (der Gnade nach) werden kann. Die Vergöttlichung macht es uns Menschen möglich, an der Herrlichkeit Gottes teilzunehmen.

 

Diese gnadengewirkte Verbundenheit des Menschen und seines Geistes (Nous) mit Gott gewährt den Menschen die gnadenhafte Teilhabe am innengöttlichen Leben. (Athanasius; De Incarnatione Verbi, 4) Jeder Mensch ist also eingeladen, durch die Gnade Gottes, das Geschenk - die Gabe der Vergöttlichung - anzunehmen.

 

Aber dieses Geschenk bekommen wir aber nicht so einfach nachgeworfen, wie ich bereits erwähnt habe. Damit die Gnade Gottes Früchte tragen und der Mensch diese Verwandlung zum Christusträger erleben kann, muss der Mensch dies erstens wollen, also sich freiwillig für die Vergöttlichung entscheiden und zweitens muss der Mensch sich durch Gebet sowie ein von Christus her geprägtes Leben darauf vorbereiten, die Göttliche Gnade zu empfangen und in sich wirksam werden zu lassen.

 

Der hl. Nikolaos Cabasilas sagt dazu: „Selbst wenn uns Gott Seine heiligen Gaben schenkt, ohne dass wir ihn etwas dafür gegeben oder dazu beigetragen haben - denn es sind vollkommene, wahre Geschenke - verlangt er von uns, dass wir bereit sind, sie zu empfangen und zu bewahren.“

 

In dieser Tradition der Hl. Väter sagt uns der rumänische Theologe Dumitru Staniloae: „In der Heiligkeit erkennt der Mensch sein wahres Wesen, zu dem er berufen ist. Davon ganz ergriffen, erwacht in ihm das Verlangen nach Reinheit und nach der Verbindung mit Gott; und das, weil er Seiner reinigenden Heiligkeit begegnete. Dieses tut ihm wohl, denn er verspürt, dass Gott sein wahres Wesen durchschaut hat und ihn trotz seines sündigen Zustandes nicht verstößt, sondern ihn zur Reinheit ruft. Wenn uns das widerfährt, fühlen wir uns glücklich und erleichtert, da wir nun frei und offen vor Ihm dastehen" (siehe Orthodoxe Dogmatik Bd. I).

 

Und Gott schenkt uns in Seiner Menschenliebe und Barmherzigkeit für unsere Heiligung unsere ganze Lebenszeit. Er lässt uns nicht allein, sondern gibt uns die Gemeinschaft der hl. Kirche, in der wir uns gegenseitig begleiten, das bedeutet, für einander beten und uns gegenseitig auf dem Weg der Heiligung ermutigen.

 

Priester Thomas Zmija